Auf  kleinen Maßstab  leben – Tiny Houses

Ein Tiny House ist die charmante Art des Wohnens. Wie groß, wie schwer, wie teuer darf es sein? Wer viel Liebe reinsteckt, kann sich das auch mit wenig Kapital leisten.

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Glücklich im Tiny House
Foto: Max Green
www.maxgreen.info

 

Neben einer sich selbst erwärmenden Badewanne ab 100.000 Dollar, einer ledernen Wassermelonentasche, Preis auf Anfrage, empfiehlt Oscarpreisträgerin und Lifestyle Ikone Gwyneth Paltrow in ihrer Liste ausgefallener Weihnachtsgeschenke, aktuell auch ein mit Pinien- und Zedernholz ausgestattetes Tiny House. Kostenpunkt ab 99.000 Dollar. Ob sie selbst schon darin gewohnt hat, ließ sich bis Redaktionsschluss nicht klären. Fest steht, Tiny Houses sind Party Talk. Sie stehen für Minimalismus, Befreiung von überflüssigem Ballast und Konzentration auf das Notwendige, eben für all das, worüber der moderne Mensch so gerne spricht und was ihm so schwerfällt, in die Tat umzusetzen. 

Der YouTuber, Coach und Lebenskünstler Max Green, 34, lebt schon seit gut drei Jahren in einem Tiny House im östlichen Brandenburg, 40 Kilometer von Berlin, mit seiner Frau Noreen und den Töchtern Noma, zwei, und Emma, vier Jahre alt. Auf einem Grundstück in einer Wohnsiedlung konnte er das 28 Quadratmeter große Haus aufstellen. Die Nachbarn haben zuerst gestaunt, sich aber schnell an die junge unkonventionelle Familie gewöhnt. „Man muss sich für das kleine Wohnen wirklich entscheiden. Das ist kein Lebensmodell für jeden“, sagt Max Green. Er und seine Frau genießen die ständige Nähe. Wenn sie mal Abstand brauchen, geht einer eben in den Wald spazieren oder macht einen Besuch bei Freunden. „Perspektivisch könnten wir uns vorstellen, zwei Häuser zu kombinieren. Irgendwann werden die Kinder sicher keine Lust mehr haben, immer so eng mit den Eltern zusammenzuhängen“, da ist Max Green Realist.“ Für ihn ist das Leben im Tiny House aber auch quasi Geschäftsmodell geworden. Auf seinem YouTube- Kanal berichtet er aus dem Haus und gibt Tipps in Sachen nachhaltiges Leben.

Technische und bürokratische Hürden

 

Was genau ist ein Tiny House eigentlich? Die meisten „winzigen Häuser“ sind zwischen rund 15 und knapp 28 Quadratmeter groß und stehen auf Rädern. Die deutsche Straßenverkehrsordnung lässt größere Modelle gar nicht zu. Von einem PKW gezogen darf ein Anhänger nämlich nicht mehr als 4 Meter hoch, 2,55 Meter breit sein und nicht mehr als 3,5 Tonnen wiegen. Wenn er länger als 8 Meter ist, wird das Fahren schwierig. Natürlich kann man sein Tiny House auch auf ein Fundament stellen und es Mini-, Mikro- oder auch Modulhaus nennen. Aber, egal ob auf Rädern oder auf einem Fundament, wer sein Tiny House mit der Absicht darin zu wohnen aufstellen möchte, braucht dafür ein Grundstück, auf dem Flächennutzungs- und Baupläne der Region, kurz das föderale deutsche Baurecht, es gestatten. Dafür muss eine gesicherte Erschließung an das öffentliche Straßen- und Verkehrsnetz und an das Ver- und Entsorgungsnetz gewährleistet sein. Außerdem sind Statik, Brandschutz, Abstandsflächen und vieles mehr zu berücksichtigen. Zum Problem werden könnte etwa eine Trenntoilette, die durch eine Spültoilette ersetzt werden muss, weil das unkontrollierte Entsorgen von Fäkalien im Land verboten ist. Dringend ist also davon abzuraten, ein Haus ohne Baugenehmigung aufzustellen – egal wo. Ein besonderes Problem der kleinen Häuser mit vier Außenwänden ist zusätzlich das Gebäudeenergiegesetz (GEG), dem sie nur schwer gerecht werden können. Die Hersteller versuchen nämlich, Gewicht – Stichwort Mobilität – durch dünnere Wände zu sparen. Das wiederum senkt die Dämmleistung. Bei dem seit November 2020 geltenden GEG spielen zusätzlich nicht nur klassische Dämmwerte, sondern auch Lösungen zur Raumklimatisierung, zur Verhinderung von Kondenswasser und Schimmel und zur Nutzung von erneuerbaren Energien eine Rolle. Das sind hohe technische Hürden für den Bau und die Aufstellung eines Tiny Houses. Wer nur gelegentlich in den Ferien oder am Wochenende darin wohnen möchte, darf es in einem Sondergebiet, das der Erholung dient, aufstellen. Dort sind die Bebauungspläne mitunter weniger streng. Erschlossen muss das Grundstück aber auch hier sein. 

Im Do-it-yourself-Verfahren oder mit professioneller Hilfe?

 

Manch einer fragt sich, ob für diese neue, minimalistische Wohnform nicht andere gesetzliche Regeln gefunden werden sollten. Noch ist es nicht soweit. Niemand darf sein Haus einfach irgendwo hinstellen – weder ins Grüne noch in die City – und dort wohnen. Genau das würde sich der Architekt Van Bo Le-Mentzel und seine Tiny-House-Foundation allerdings wünschen. Der Tiny-House-Aktivist sieht die Minihäuser als Möglichkeit, allen das Wohnen, gerade auch im Innenstadtbereich, zu ermöglichen: auf Parkplätzen, Brachen – einfach überall, wo gerade Platz ist. Mit den Architekten Masen Khattab und Lukas Sailer hat er das GO TITO aus 90 Prozent Holz entwickelt. Das „Tiny Townhouse“ ist 14 Quadratmeter groß und wird in einer Basic Version ab 30.000 Euro und einer Rohvariante ab 18.000 Euro angeboten. Beide kann man dann individualisieren und gemäß den eigenen Ansprüchen upgraden – im Do-it-yourself-Verfahren oder mit professioneller Hilfe. Küchen- und Badausstattung, Holz-, Kunststoff- oder Metallfenster, die Wahl der Fassadenverkleidung und viele andere Details entscheiden über den finalen Preis. Das ist bei allen der über 50 Anbieter solcher Miniaturhäuser in Deutschland ähnlich. Die meisten Tiny Houses werden als Ferien- und Wochenendhäuser genutzt. Khattab und Sailer stellen sich vor, dass temporäre Tiny-House-Siedlungen bei Großveranstaltungen, etwa Kirchentagen, vielen Besuchern auch citynahe Unterkunft bieten könnten. Ihr Prototyp, der zurzeit auf einem Berliner Industriehof steht, ist demnächst vielleicht Lounge und Rezeption des Hipster Gyms gleich gegenüber.

Es darf ruhig ein bisschen schnuckelig sein

 

Kein Hipster, sondern ein gestandener Brandenburger Unternehmer ist Heiko Neupert, der gerade einen Campingplatz am Klostersee bei Lehnin gekauft hat. Der mit einem Patent für flexiblen Sandstein erfolgreiche Bauingenieur bietet dort Stellplätze für Tiny Houses an. Man kann sich mit dem eigenen Haus, auf einer zu pachtenden Parzelle niederlassen oder sich eins bauen lassen. Neupert hat ein eigenes Modell entwickelt und kooperiert mit dem Makler Günther Berthold, der in Tiny Häusern ein interessantes Geschäftsmodell sieht. Auf Neuperts als Campingplatz ausgewiesenem Gelände darf man zwar nicht 365 Tage im Jahr wohnen, aber doch zum Beispiel einen sehr langen Sommer verbringen. Eine Nische, die auch anderswo bürokratischen Aufwand erspart. Die Tiny Häuser von Neupert und Berthold sind mit Couchgarnitur und der Option zu Klimaanlage, Fußbodenheizung und Kamin nicht allzu streng dem Minimalismus verpflichtet. „Mann soll sich ja wohlfühlen. Es darf ruhig ein bisschen schnuckelig sein.“ 

Ökofreaks, Rentner, Ruhesuchende und Leute, die endlich etwas Eigenes haben wollen, sieht Berthold als seine Kunden. Manche sind auch Anleger, die ihre Tiny Houses verpachten oder an Urlauber vermieten wollen. Andere Anbieter berichten, dass es gerade Frauen um die 50 sind, die sich verstärkt für Tiny Houses interessieren. Downsizing wird mit dem Älterwerden, nach dem Auszug der Kinder, ein Thema oder auch als Übergang vom studentischen ins Berufsleben. „Die meisten, die überlegen, sich ein Tiny House anzuschaffen, stellen sich nicht die Frage, ob das „für immer“ ist“, so die Erfahrung des Architekten Lukas Seiler. „Das ist keine Prämisse, unter der sie ihr Leben organisieren.“ 

Die größte Herausforderung: Das Ordnung halten

 

Egal ob für immer oder temporär, empfehlenswert ist es vor der Entscheidung, das Leben en miniature mal auszuprobieren. „Mindestens 3 Tage“ empfiehlt Günther Berthold, der Makler. „In der ersten Nacht ist die Begeisterung groß, in der zweiten wird der Blick realistischer und nach der dritten kann man dann abwägen, ob es was für einen ist.“ Nach der generellen Entscheidung sollte man sich auf jeden Fall Zeit lassen mit Grundstückssuche, Planung und Bau. Solarzellen, Gas- oder Stromversorung? Chemie- oder Trenntoilette? Vieles gibt es im Vorfeld zu Bedenken. Die Besichtigung von Musterhäusern und das Gespräch mit Referenzkunden des Herstellers empfehlen sich unbedingt. Wer selber bauen möchte, braucht Geduld und Zeit und sollte sich fragen, ob die handwerklichen Kenntnisse tatsächlich reichen. Kann und will man wirklich Schreiner, Elektriker, Sanitärinstallateur in einem sein? Nichts ist unmöglich: Videos, Fachliteratur und Foren stehen zahlreich zur Verfügung. Wer sein Tiny House selbst gebaut hat, kennt es wirklich und wird selten einen Handwerker für Reparaturen bestellen müssen. Kein zu unterschätzender Vorteil.  

Die größte Herausforderung für das Leben im Tiny House ist für manch einen das Ordnung Halten. YouTouber Max Green oder auch die Argentinierin Candela Villalonga, die acht Monate in einem Haus von Van Bo Le Mentzel gelebt hat, mussten am Anfang ganz schön damit kämpfen. Ein unordentliches Tiny House bietet keinen Platz zum Leben. „Regelmäßiges Ausmisten gehört dazu“, sagt Max Green. Das Downsizing hört also auch mit Tiny House nicht auf.