Beach Beauty

Der Kauf der passenden Badekleidung ist alles andere als leicht. Enge Umkleidekabinen, gleißendes Licht, das jede Wölbung, jede Delle, jede Ader aufs plastischste zur Geltung bringt, können einen verzweifeln lassen. Männern mit Problemzonen im mittleren Körperbereich empfehlen Verkaufsberaterinnen und Berater Shorts mit langen Beinen. „Die strecken optisch“, sagen sie. Das tröstet wenig vor dem Spiegel, wo vom Sixpack keine Spur ist. Ich weiß, wovon ich spreche. Männer mögen sich mit der nicht perfekten Körperlichkeit etwas weniger schwer tun. Leicht haben sie es auch nicht. Frauen allerdings scheinen noch einmal strenger mit sich und ihren Körper ins Gericht zu gehen. Der Bikini- oder Badeanzugkauf ist für sie, so höre ich von Freundinnen und Kolleginnen, oft ein Horror. Ober- und Unterteile passen nicht zusammen, die Schnitte scheinen unvorteilhaft, und immer sieht der Blick auf den eigenen Körper vor allen Dingen auf das nicht Perfekte. Die Designerin Lydia Maurer, wohnhaft in Berlin, will Frauen Mut dazu machen, sich zu akzeptieren, wie sie sind, und entwirft Bademode für Frauen jeden Typs: Dick und Dünn, Jung und Alt. Die Schnitte der Deutsch-Kolumbianerin orientieren sich an Körperformen, nicht an Konfektionsgrößen. Mode soll sich gefälligst den Frauen anpassen, nicht die Frauen der Mode. Eine gute Einstellung, nicht nur wenn man sich aufmacht, ein neues Badeoutfit zu erwerben. Hergebrachten Vorstellungen von Schönheit werden in der Mode nämlich gerade in Frage gestellt, zugunsten einer Vielfalt, die im Besonderen das Schöne findet. Barbie und Ken sind keine Vorbilder mehr. Moderne Schönheit folgt keinen Normen. Diversity, Unterschiedlichkeit, macht den Menschen aus. Wir sind alle gleich, aber nicht dieselben. Und wir verändern uns im Laufe des Lebens. Darauf muss die Mode reagieren.

Trend ist, wenn Oberteil und Unterteil verschiedene Designs zeigen

 

 

Lydia Maurer ist mit ihrer Kollektion Phylyda natürlich nicht die einzige, die Bademode etwa auch groß denkt, sich fragt, was für Bedürfnisse besonders kurvige Frauen haben oder auch die Generation jenseits der 60. Selbstverständlich ist das allerdings noch lange nicht, ohne Frage aber zukunftsweisend. Wer sich vielleicht für die sommerliche Auszeit im November auf die Suche nach dem neuen Badelook macht, kann sich auf jeden Fall über Auswahl nicht beklagen. Die Mode kennt keine Saisons mehr. Ob Einteiler oder Bikini, Rüschen oder Sportcuts, es gibt nichts, was es nicht gibt. Asymmetrische Schnitte, also Ein-Schulter-Bikini-Oberteile, sind gerade besonders trendy und auch Badeanzüge mit Cut-Outs, durch deren Ausschnitte Haut gezeigt wird. Ein anderer großer Trend ist, wenn Oberteil und Unterteil verschiedene Designs zeigen. „Mismatching“ heißt das neudeutsch. Gelungenes Mismatching bedeutet aber doch, dass das, was wie zufällig zusammen angezogen aussieht, irgendwie harmoniert. Das Streifenoberteil und die gepunktete Hose, sollten schon farblich abgestimmt sein. Fest steht, dass superknappe Tangas, die auf dem Laufsteg vorgeführt werden, wenig zu tun haben mit dem alltäglichen Stranderlebnis. Wer hat schon eine Modelfigur, und die wenigsten Frauen möchten wie eine Baywatch-Nixe am Strand posieren. Die meisten wollen einfach gut aussehen, die Sonne spüren, ohne sich dabei nackt zu fühlen. Shorts, die Po und Oberschenkel gut bedecken, sind deshalb bei vielen Kundinnen beliebt, genauso wie schon seit längerem wieder Badeanzüge. Auch Baderöcke mit kleinen Volants, die über Po und Hüfte fallen, erfüllen das Bedürfnis nach Bedecktheit, ohne Erinnerungen an einen Burkini zu erwecken. Viele moderne Badeanzüge halten die Figur dank straffender Materialien im wahrsten Sinne des Worte in Form, Push ups geben Halt, raffinierte Schnitte, Falten und Volants kaschieren Problemzonen. Auch Tankinis werden immer beliebter. Sie sind der Kompromiss zwischen Bikini und Badeanzug. Diese Zweiteiler haben Oberteile wie richtige Tops, oft auch ausgearbeitete Bustiers und sind in der Regel sogar geeignet, noch den Sundowner an der Bar zu nehmen. Farblich ist wirklich alles möglich. Schwarz geht genauso so wie Weiß oder bunt geblümt, gestreift oder gepunktet.

 

Die technische Ausrüstungen von Stoffen verändert die Bademode

 

Nachhaltige Bademode ©OEKO-TEX

 

 

Auch die Badehosen für Männer sind farbenfroh und vor allen Dingen eher lang als kurz. Enge, kleine Höschen mögen noch Ibiza-Platzhirsche tragen, die coolen Kerle zeigen sich am Strand in Surfer-Shorts, mindestens in Shorts. Die Auswahl ist für den modisch interessierten Mann also deutlich kleiner, aber damit natürlich auch einfacher. Und, wie gesagt, Shorts schmeicheln der männlichen Figur mit Hang zum Bauchansatz. Die Sixpack-Männer können sich sowieso sehen lassen, wie sie wollen. Karos sind gerade besonders trendy. Wenn Mann sich also nach einer neuen Badeshorts umsieht und unentschieden ist: Karierte Hosen sollten seine Wahl sein. Es gibt aber noch ganz andere, nicht sichtbare Aspekte, die in der Mode immer mehr an Bedeutung gewinnen. Nachhaltigkeit und faire Produktionsbedingungen werden Kundinnen und Kunden immer wichtiger. Sie wollen Kleidung, die sie mit gutem Gewissen tragen können. Darauf reagieren auch die Hersteller von Bademode. H&M und Konzerntochter Weekday, zum Beispiel, bieten Swimwear, die aus recyceltem Polyamid oder recyceltem Polyester hergestellt ist. Ganz klar, die bestimmenden Trends finden sich auch hier wieder: etwa Cut-Outs oder vorteilhafte Raffungen. Auch technische Ausrüstungen von Stoffen sind ein Thema, das die Mode verändert wie nie zuvor. Für die Bademode bedeutet das, neue Badeanzüge bieten UV-Schutz und sind gegenüber Chlor und Sonnencreme gänzlich unempfindlich. Die Sportmarke Volcom hat das zum Beispiel im Angebot und spendet einen Teil der Erlöse an das Projekt 0, einer globalen Organisation, die sich gegen die Verunreinigung der Weltmeere einsetzt. Markenbotschafterin ist neben anderen Georgia May Jagger. Die Jagger-Tochter ist Model, Zahnlücke und die Hasenzähne sind ihr Markenzeichen. Stichwort Diversity. Schönheit liegt im Auge des Betrachters. Gott sei Dank, dass es nicht nur einen Trend gibt, sondern ein manchmal sogar verwirrend vielfältiges Angebot, das dafür aber jedem etwas bietet. Am Strand und anderswo geht es immer um das Selbstbewusstsein, sich selbst schön zu finden, so wie man ist, und das Beste aus seinen Möglichkeiten zu machen. Wir können und müssen selbständig entscheiden, was wir schön finden. Für uns. Und das ist gut so. Wahl bedeutet Freiheit. Wer möchte noch eine Modediktatur, die bestimmt, wie hoch ein Badeanzug ausgeschnitten sein soll oder wie lang oder kurz der Rock sein darf – egal, wie lang die Beine sind. „Nutze Deine Fehler, dann wirst Du ein Star sein“, hat schon Edith Piaf gesagt. Da ist etwas dran. Es geht darum, auch in individuellen Makeln die Schönheit zu entdecken. Sogar in der engen Umkleidekabine.