Bewegte Frauen – Mailand Winter 2020/21

Vom Business as usual kann in der Mode keine Rede sein: Die Mailänder Modewoche wurde vom Covit-19 Virus überschattet und von der Nachricht der ersten italienischen Opfer. Giorgio Armani nahm das als Anlass, seine Schau nur zu streamen, um die Gäste keiner Gefahr auszusetzen. Die wirtschaftlichen Folgen, die die Abwesenheit hunderter chinesischen EinkäuferInnen mit sich bringt, sind noch gar nicht abzusehen. Sie werden jetzt schon als dramatisch eingeschätzt. Trotz aller Schwierigkeiten waren die Front Rows genauso wie der Schauenkalender gut gefüllt. Selbstverständlich, dass es bei der Milano Moda Donna um die zeitgemäße Definition von Weiblichkeit geht. Genauer aber ging es darum: Wie sieht der Power Dress der modernen, emanzipierten Frau aus? Wie lässt sich Weiblichkeit in Mode verwandeln, ohne die Frau zum Weibchen zu machen. Nicht nur bei Prada oder Jil Sander – um nur zwei der großen Namen zu nennen – war das das Thema der nächsten Saison. Den Schauenreigen in Mailand allerdings hat ein Mann eröffnet, den solche Fragen, wenn überhaupt, nur ganz am Rande interessieren. Alessandro Michele macht bei Gucci sein ganz spezielles wildes Ding. Er lebt in seinem eigenen modischen Universum. Die Modenschau ist für ihn ein heiliges Ritual. Er zelebrierte es diesmal, indem er die Zuschauer durch das Backstage einließ und die Vorbereitungen zum Teil der modischen Messe machte, die auf einer Drehbühne stattfand. Man mag das als Hinweis darauf verstehen, dass auch das tägliche Ankleiden zu Hause ein Ritual des Verwandelns ist. Wie schon bei den Männerschauen im Januar, war auch für die Damen die Kindheit Ausgangspunkt seiner Inspiration: Schuluniformen, Latzkleider, Peter Pan Kragen. Dazu sein bekannter Ritt durch Stile und Zeiten. Die „Mädchenhaftigkeit“ seiner Kollektion ist nicht zart, eher bizarr. Wählt die Frau aus dem Angebot, das Gucci macht, wird sie mal zu Scarlett O’Hara, mal zur strengen Gouvernante oder auch Hohepriesterin. Alles immerhin starke Frauen.

Zusammenarbeiten statt konkurrieren

 

 

Miuccia Prada gilt als die politische unter den Mailänder Modemacherinnen. Bei jeder Kollektion geht es ihr darum, eine Facette der kraftvollen Frau zu interpretieren. Im Mittelpunkt des von Rem Koolhaas gestalteten Showspace stand diesmal eine Statue, und zwar die abstrakte Interpretation des griechischen Gottes Atlas, der die Last der Welt auf seinen Schultern trägt. Für Prada sind es heute allerdings die Frauen, die sich mit ihr mühen. Sakkos mit breiten Schultern, robuste Wollstoffe, Tweed und Flanell,auch Krawatten als Accessoires lassen bei Prada im Winter 2020/21 die Frau ihren Mann stehen. Die wadenlangen Fransenröcke geben nicht nur Beinfreiheit, sondern den Looks auch Femininität, Lotusblütendrucke auf seidigen Pyjama-Anzügen, die Taillengürtel mit den kleinen Taschen als Schnallen und immer wieder Perlenfransen tun ihr Übriges, um die strengen Looks mit den 40er Jahre-Silhouetten aufzubrechen. Miuccia Prada spielt mit männlichen und weiblichen Klischees. Auch ohne den theoretischen Oberbau gelingt so eine ansprechende, sehr pradaeske Garderobe. Die Nachricht, dass sich Miuccia Prada ab der nächsten Saison ihren Job mit Raf Simons als gleichberechtigtem Partner teilt, weist sie selbst nicht nur als starke, sondern auch als großzügige Frau aus. Simons ist einer der größten kreativen Köpfe in der Modeszene momentan. Zusammenarbeiten statt konkurrieren, wäre schön, wenn sich der Gedanke, nicht nur in der Mode durchsetzen würde. Wir dürfen gespannt sein! Das Design Museum London eröffnet übrigens im September die erste große Ausstellung, die das Schaffen von Miuccia Prada bislang als Solistin vorstellt.

Bequemlichkeit spielt eine Rolle

 

Ohne kreativen Partner an ihrer Seite ist seit Karl Lagerfelds Tod Silvia Fendi. Auch sie spielt das Thema männlich-weiblich modisch bravourös. Strenge Silhouetten, weiche Stoffe, Samt, Seide, Spitze. Die erst unterhalb der Schuler angesetzten voluminösen Ärmel wirken nicht folkloristisch sondern cool. „Vom Boudoir in den Boardroom“, Executive Chic mit Sexappeal sind Schlagworte, die die Kollektion beschreiben. Der Vamp als ultimative Powerfrau. Die Dietrich grüßt von Ferne.
Für Lucie und Luke Meier, seit 2017 verantwortlich für Jil Sander, spielt der Kontrast männliche versus weibliche Kleidung keine Rolle. Zarte Stickereien, gebauschte Ärmel, feine Paspelierungen und Stickereien, capeartige Überwürfe und akzentuierte Volumen, nicht zuletzt die langen fließenden Silhouetten geben das Bild einer Frau, deren Kleidung souverän weiblich ist, Stärke nicht aus männlichen Codes bezieht. Der strenge maskuline Jil Sander Minimalismus ist unter Lucie und Luke Meier zu einer fast romantisch zu nennenden Reinheit transformiert. Die Farbpalette ist schmal: Schwarz und Weiß oder Elfenbein, mal ein leuchtendes Rot oder zartes Grün. Wenige Farben, dafür umso mehr feine Details zeichnen diese Kleider aus. Sie sind im Übrigen nicht nur schön, sondern, Dank der legeren Schnitte und des edlen Materials, feinste Baumwolle, Kaschmir und Wolle, auch komfortabel. Dass das ein durchaus zentraler Punkt bei der Kaufentscheidung sein kann, hat auch der 34jährige, 2019 zum Designer of the Year gekrönte, Daniel Lee für Bottega Veneta, erkannt. Viele seiner lässig eleganten Kleider mit den schmalen Silhouetten sind mit Stretch verarbeitet, schmiegen sich an den Körper an, bewegen sich mit ihm und betonen Kurven und Linien. Die Farben sind wächsern: Scharlachrot, Kiwi, Schokoladenbraun, Rose. Auch bei Bottega Veneta sind Fransen im nächsten Winter unverzichtbares Accessoire. Die Kollektion ist einen Tick sinnlicher als das Jil Sander Angebot, dabei aber nie vordergründig sexy.

Kleidung nicht Verkleidung

 

 
Als Designerin solch subtiler modischer Botschaften ist Donatella Versace nicht bekannt. Sexyness ist ausdrücklich Teil ihres Selbstverständnisses. Dafür, dass das nicht Unterordnung bedeutet, kann sie selbst als bester Beweis gelten. Versace zeigte diesmal die Damen- und Herrenkollektion gemeinsam. Ganz klar, auch Männer sind bei ihr echte Männer, keine androgynen Jünglinge, wie etwa bei Gucci. Kleidungsmäßig herrscht allerdings Gleichberechtigung. Die Herren bekommen von Donatella dieselben psychedelisch bunten Muster und Zebra-Streifen verpasst wie die Damen. Überraschend für Versace sind die sportiven Looks: Sweater mit Rugby-Streifen, Jeans aus Streifen zusammengesetzt, High Heels mit Gummiplateaus und breitem Relief, auch Gummistiefel gingen über den Laufsteg. Im Mittelpunkt standen aber – Versace typisch – die glamourösen, hyper-femininen Cocktail- und Partykleider. Nicht zur Party, sondern entschlossen auf die Reise machen sich vom monotonen Büroalltag entnervte Frauen bei Max Mara, so die Idee der Kollektion. Von Marokko bis Russland erleben sie die Welt und dabei überqueren sie die Meere. Wellenartige Volants machen breiter Schultern und verleihen dabei einen romantischen Touch. Streifen verstärken das maritime Feeling.
Mailand wird unterschätzt, so sieht es jedenfalls der Wiener Designer Arthur Arbesser, der hier seit 15 Jahren lebt. Seine Kostüme für André Hellers Inszenierung des Rosenkavaliers haben an der Berliner Staatsoper für Aufsehen gesorgt. Seine Herbst/Winter-Kollektion ist eine Hommage an Mailands Architektur und Interior Design, die geometrischen Drucke der Stoffe sind inspiriert von Mailänder Parkett- und Marmorböden, unter seinen Models Mailänder Designerinnen und Kuratorinnen – starke Frauen und eigenwillige Schönheiten. Zu den Labels der Mailänder Modewoche gehören auch Missoni, Dolce & Gabbana, Fendi, und viele bei uns weniger prominente Labels wie MSGM, Agnona, Vivetta, Nº21, Cividini, DoubleJ oder Blazé Milano. Sie alle stehen auf ihre individuelle Art und auf qualitativ höchstem Niveau nicht für modische Revolution aber für Mode auf der Höhe der Zeit. Frauen, die nach Kleidung, nicht nach Verkleidung suchen, können in Mailand glücklich werden. Den vielleicht etwas kapriziöseren französischen Schick zeigen ab heute die großen Pariser Häuser: Saint Laurent, Chanel, Balenciaga, Celine… Ganz sicher werden auch hier starke Frauen die Laufstege erobern. Die haben nämlich gerade einen Lauf.