Im Kleid meiner Schwester

Shapewear

Foto: wacoal

Von meinen Naturell her bin ich keine Hochstaplerin – das kann man in diesem Zusammenhang ganz wörtlich nehmen, Frauen und Männer wissen schließlich, wozu Push-ups in der Lage sind. Aber auch falsche Wimpern, angeklebte Nägel … So etwas kommt für mich nicht in Frage – hätte ich ich bis vor kurzem gesagt. Zu vulgär und überhaupt mehr Schein als Sein. Ist nicht mein Stil.

La Perla

Foto: La Perla

Seit ich neulich ein besonders schlauchiges Stretchkleid anprobiert habe, zweifle ich an meinen alten Prinzipien und plane immerhin den Ankauf von sogenannter Shapewear. Vielleicht darf man der Natur doch etwas nachhelfen und ist trotzdem ein guter Mensch.

La Perla shape couture

Foto: La Perla shape couture

Shapewear

Foto: Wacoal

Aber der Reihe nach: Das Kleid hing unschuldig bei meiner Schwester über der Stuhllehne, etwas für Mauerblümchen, hätte man denken können. Ich entdeckte es auch erst auf den zweiten Blick und es löste nicht das „Muss-ich-anziehen-“ oder „Hätte-ich-auch-gerne-Gefühl“ aus, was ich sonst sehr gut kenne, wenn meine glamouröse Schwester mal wieder shoppen war.

La Perla

Foto: La Perla

Das schlappe, schwarze Etwas nahm ich mit zwei Fingern und erstauntem Blick hoch. „Was ist denn das“, fragte ich. Sie saß in einem fließenden Eggshape-Gewand auf ihrem Designerstuhl, strich sich eine blonde Haarsträhne aus dem Gesicht, und wirkte irgendwie noch schlanker und fitnessgestählter als sonst. Sie ist so der der Cate-Blanchett-Typ. „Vielleicht was für Silvester“, antwortetet sie zu meiner Überraschung, „probiers mal an.“ Ich dachte, sie mache sich über mich lustig, aber sie meinte es ernst. Gesagt, getan, meine Schwester ist schließlich die Fashion-Beauftragte in der Familie.

Point of no return

So sehr ich meine Schwester liebe, sie ist eben auch die ältere, und die jüngere Schwester zu piesacken, scheint ein Spaß zu sein, der auch mit den Jahren nicht nachlässt. Mit keinem Wort hatte sie erwähnt, dass man in dieses kleine Schwarze nicht einfach reinschlüpfen konnte. Während sie an einem Cosmopolitan nippte – unser Sex-and-the-City-Memorial-Ritual –, kämpfte ich mit dem Kleid und sah schwarz. Ich war nämlich in einem langen Tunnel gefangen und zwar an einem point of no return. Da ich das Kleid schon über den Kopf und nach unten gezogen hatte, musste ich es jetzt irgendwie auf meinen Körper pellen. Es gab kein Zurück mehr. Für die Frage, ob und wie ich mich wieder ausziehen würde, war in diesem Moment kein Platz. Im Dunkeln hörte ich die böse Schwester kichern, während ich eine Art Schlangentanz ausführte, der schließlich tatsächlich dazu führte, dass sich das Kleid um meinen Körper legte wie eine zweite Haut. Als ich wieder aufgetaucht war, erbarmte sie sich, und es gelang ihr sogar, ohne mich zu verletzten den seitlichen Reißverschluss zu schließen. Meine Frisur war zerstört, das Make-up sowieso, ich fühlte mich wie ein ein frisch gepucktes Baby in Schwarz und beim Blick in den Spiegel … Wow! Stromlinienförmig und sexy wie lange nicht mehr. Was war passiert? Hatte ich mich in Cameron Diaz verwandelt? Jedenfalls fand ich mich so sexy wie sie in dem Film „In den Schuhen meiner Schwester.“ Das spezielle Streichgewebe dieses Kleides stärkte und straffte mich, es gab mir Sicherheit und eine gerade Haltung. Das Kleid war augenscheinlich bodyformend, alles saß genau da, wo es sitzen sollte und gewisse Unregelmäßigkeiten waren ins Nirgendwo verschwunden. Die Schwester lächelte milde und erwies sich doch als eine Gute. Wie es nur unter Schwestern und allerbesten Freundinnen möglich ist, gewährte sie mir nämlich nun einen Blick unter ihr Eggshape-Gewand, in dem sie so eine beneidenswert gute Figur machte. Jetzt wusste ich, warum. Sie hatte nachgeholfen und da kann sie sich auf große Vorbilder berufen.

Ächzend und stöhnend in ein schlauchiges Etwas

Weniger diskret als meine Schwester, die nur mir ihre Schönheitstricks verrät, sind nämlich Hollywoodstars, die auf jedem roten Teppich verraten, was sie drunter tragen. Jessica Alba, Madonna, Gwyneth Paltrow zum Beispiel schwören auf das Label Spanx von Sara Blakely, die mit nudefarbenen „Schenkel-Shapern“ und „Popo-Pusher“ Milliarden umgesetzt hat und neuerdings auch Männerkörper durch Kompression in Form bringt. Ich verzeihe Stars jedes Horroroutfit, wenn sie es denn mit Würde tragen, aber es ist absolut ernüchternd, vermuten zu müssen, dass Penélope Cruz’ Sanduhrfigur im überwältigenden feuerroten Kleid nur Resultat einer Komplettmontur aus stützendem schweinefarbenen Elasthan ist. Entwürdigend auch die Vorstellung, wie sich der bekennende Spanxträgers Tom Hanks unter Ächzen und Stöhnen in ein schlauchiges Etwas zwängt und dann vollkommen kompressiert seinen jungen Kollegen die Schultern klopft. Apropos Ächzen und Stöhnen: Das kleine Schwarze meiner Schwester war zwar für Obendrüber, aber eben nur unter Aufbietung aller Kräfte und begabt mit den Fähigkeiten eines Schlangemenschen tragbar – genau wie diese Kompressionswäsche, mit der die Hollywoodstars angeben. Wenn ich einer wäre, würde ich mich lieber, wie die Dietrich, in ein Kleid einnähen lassen. Das hätte mehr Sexappeal. Aber meine Schwester ist noch einen Schritt weiter. Was sie mir präsentierte bewies, dass es einen Mittelweg gibt zwischen Einnähen, Ganzkörperkondom und feministischer BH-Verbrennung.

Lieber würde ich mich einnähen

Sie ist nämlich nicht nur mit den aktuellen Kollektionen der Designer bekannt, sondern auch mit den neuesten Wäschetrends, sogar im Spezialgebiet Shapewear. Was meine große Schwester unter ihrem Kleid trug, war ein sehr ansprechender und trotzdem formender Body. By the way, ich hatte es, glaube ich, schon erwähnt: Sie ist die Ältere und da ist das Thema natürlich für sie relevanter als für mich.
Es gibt also formende Wäsche, die sexy ist. Vielleicht nicht ganz so radikal in der Wirkung, dafür aber mehr dem Leben zugewandt. Und wenn ich vermuten muss, das Oscar-Treppchen zu erklimmen, bin ich auch bereit, noch mal über schärfere Maßnahmen nachzudenken. Bis dahin ist diese Schapewear der neuen Generation meine Wahl. Sie strafft und schiebt nur punktuell zusammen, dafür hält man sich mit ihr aber auch alle Möglichkeiten offen, die eine Party-Nacht so bieten kann. Und mit der Cameron-Diaz-Figur werden es viele Möglichkeiten sein. Es besteht dann keine Gefahr, Fans mit einem Tour-de-France-Look unterm Kleid zu verschrecken. Falls ich lieber alleine nach Hause gehe, ist es außerdem von Vorteil, dass ich sogar mit einem Schwips der straffenden Umarmung dieser Wäsche ohne Schere entkomme. Wollen Sie mich jetzt daran erinnern, dass ich mal Vorbehalte gegen künstliche Hilfsmittel hatte? Ich sage nur: Cameron-Diaz-Figur! Sie verstehen, was ich meine.

Ich bekomme noch raus, wo sie das Kleid her hat

Die Party des Jahres steht vor der Tür: Silvester! Eine willkommene Abwechslung nach dem Weihnachtstüdelü im Kreise der Familie. Dass das Fest der Liebe wenig mit sinnlicher Verführung, dafür viel damit zu tun hat, autogenes Training unauffällig in die Tafelgespräche am Heiligabend zu integrieren, wissen wir alle. Man darf aber auch nicht zu undankbar sein: Der Inhalt des Umschlags von Tante Uschi vielleicht noch addiert zu dem von Onkel Karl lässt sich immerhin zwischen den Jahren in sexy Dessous mit formender Wirkung eintauschen. Dafür hat sich das Durchhalten gelohnt. Noch hat mir meine Schwester nicht verraten, wo sie das fließende Kleid her hat. Das bekomme ich aber noch raus und dann lasse ich es krachen. Meines wird allerdings kürzer und der Ausschnitt etwas tiefer sein. Als Jüngere kann ich mir das erlauben. Das Kleine Schwarze, was sie mir zuerst andrehen wollte, war eine Erfahrung, keine Option. Ich gebe gebe nur das Stichwort Schere.