Comeback des Modediktats

PACO RABANNE Winter 2015 Ready To Wear  Paris

MANISH ARORA Winter 2015 Ready To Wear
Paris

„Express Yourself“, „Individualität ist alles, Trends sind nichts“, so könnte man das Credo der modischen Meinungsführer zusammenfassen. Als Anna Wintour im Frühjahr in einem Interview verkündete, sie hasse Trends, Persönlichkeit sei alles, war die Aufregung unter Fashionistas groß, dabei hatte sie nur noch einmal von höchster Stelle bestätigt, was doch längst in aller Munde war. Der Blog www.manrepeller.com von Leandra Medine etwa ist berühmt vor allem wegen der originellen Outfitlösungen der Bloggerin. Da zeigt sie zum Beispiel, wie sie zwei Seidentücher zu einem Sommerkleid zusammenknotet.
DRIES VAN NOTEN Ready to Wear Fall Winter 2015

DRIES VAN NOTEN Ready to Wear Fall Winter 2015 Paris

Die Tücher sind natürlich nicht irgendwelche, sondern von Hermès, die Schuhe, die sie dazu kombiniert, von Charlotte Olympia. Solche kreativen Anstrengungen (basteln ist hip) musste also schon im Sommer unternehmen, wer modisch up to date sein wollte. Im Herbst wird es nicht leichter. Es reicht nicht, einigermaßen geschmackssicher einen Look für sich zu finden. Die Mode fordert kreatives Styling – und zwar am besten jeden Tag ein anderes.
Unter Headlines wie „Neuer Mix“ verbirgt sich eine unerwartete und klug kaschierte Form des Modediktats. Es verlangt: „Beweise Persönlichkeit!“ und begnügt sich nicht mit einem Trend.
Gucci Ready to Wear Fall Winter 2015 Paris

Gucci Ready to Wear Fall Winter 2015 Mailand

Sieben Tage, sieben Trends

Hier eine Auswahl an Trends für jeden Wochentag, alle gefunden in Modemagazinen für den Herbst/Winter 2015/16. Montag empfehlen wir den Look „Hipster meets Vintage“, Dienstag könnten Sie dann „Pretty in Pastell“ erscheinen, Mittwoch im „Old Ladies Look mit Brit Chic“, Donnerstag wäre endlich der „Bohemian Look mit 70ies Appeal“ an der Reihe, Freitag mit Blick aufs Wochenende „Neo Punk in Black“, Samstag schlagen wir ihr „80ies Comeback in Neonfarben“ vor und für Sonntag: „Sport meets High Tech“… Ups, die Woche ist schon wieder zu Ende … Schade! Den nächsten Montag treten Sie dann aber endlich im „Ethno-Look – Back to the Roots“ auf.

www.rickiwiefamiliesoist.de

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Für die Zusammenstellung der vielen Trends braucht man natürlich eine Grundgarderobe. Die Fachzeitschrift Textilwirtschaft empfiehlt folgende Looks als Basis für die aktuelle Saison. Das gehört zur Minimalausstattung für Herbst/Winter 2015/2016:
Eine knöchellange Hose mit hoher Taille sollten Sie schon haben, je höher desto modischer, dazu ein kurzer Pulli oder – modischer – einer Bluse. Bluse oder Pullover gehören in die Hose.Der Look ist eher schmal, der passende Schuh hoch. Kontrapunkt: Die weite Culotte zum Oversized-Pulli, dazu Ankleboots. Natürlich sollten Sie auch eine Herrenhose mit Bundfalte besitzen, kombiniert wird sie mit Hemd und/oder Pullover. Die Schuhe? Flache Schnürer. Stichwort „Gender und Tomboy Look“. Marlene-Hosen in Überlänge, dazu ein schmaler Rolli, darüber ein weicher Mantel sind ein weiterer Baustein der Herbstgarderobe. Die weißen nicht zu schmalen Sneakers, die zu überlangen weiten Hosen zwingend gehören, haben Sie hoffentlich sowieso schon. Oder etwa nicht!? Dann wäre zu befürchten, dass Sie auch nicht im Besitz einer Skinny sind. Kann aber gar nicht sein. Sonst würden Sie diesen Text nicht lesen. Die Skinny gilt es jetzt mit etwas Weitem, Fransigem zu kombinieren, am besten einem Poncho. Eine Fransenjacke (Biker-Stil!?) oder ein ganz, ganz großer Pullover passen übrigens ebenfalls zum Pencilskirt, der unbedingt auch in Ihre Garderobe gehört. Wer groß genug ist und ganz besonders modisch, trägt zu diesem Look Loafer. Kitten Heels, also Pumps, Sling Pumps oder Sandaletten mit kleinem Pfennigabsatz sind – im Zuge des 80ies Revivals – aber auch eine Möglichkeit.
Soviel zu den Basics, aus denen Sie – je nachdem welcher Aspekt Ihrer faszinierenden Persönlichkeit gerade in den Vordergrund treten soll – Ihr Outfit zusammenstellen können. Irgendwie fehlten in der Aufzählung allerdings noch die diversen Kleidervarianten und auch die neuen, spielerischen Kostüme, die so gar nicht an Business erinnern … Macht nichts. Die entdecken Sie schon, denn Sie werden ja jetzt shoppen gehen. Im Concept Store ihres Vertrauens mit kuratierter Auswahl kann nicht viel schief gehen.

Luxuriöse Spießigkeit mit Augenzwinkern

Vergessen Sie aber nicht, dass es erstens auch angesagt ist, irgendeinen jungen Designer zu favorisieren und darüber zu sprechen und zweitens ein Vintage-Teil, das eine „Geschichte“ erzählt, zum Teil Ihres Auftritts zu machen. Notfalls denken Sie sich einfach eine aus. Sie sind doch eine kreative Persönlichkeit. Letzter Tipp: Bei allem Streben nach modischem Ausdruck – treiben Sie es am Ende doch nicht zu doll. Dem modischen Spiel „Phantasie verlass mich nie“ sind doch Grenzen gesetzt. Was nämlich auffällt bei den aktuellen Modeproduktionen, das Styling, egal ob es sich der „Miss Liberty“ oder „Pretty in Pastell“ widmet, hat etwas gemeinsam: Den Hang zu luxuriöser Spießigkeit mit Augenzwinkern. Der Film „The Royal Tenenbaums“ wird als Vorbild für diesen aktuellen biederen Upperclass-Look mit Ironiefaktor genannt. Als schräg gilt schon, dass senffarbene Hosen und burgunderrote Blusen kombiniert werden, eine Brosche an ungewöhnlicher Stelle steckt, oder dass Animal Prints mit Blockstreifen in einem Outfit zusammenkommen. Die 25-jährige Emma Watson, betitelt als „voice of her generation“, trägt zum Beispiel auf dem Cover der September-Ausgabe der britischen Vogue ein Kleid mit goldenen Brokat-Paisleys, das auch ihre Granny zum Collegeball getragen haben könnte. Entworfen wurde es von der 43-jährigen Stella McCartney, deren Mutter Linda McCartney vermutlich ein ähnliches im Kleiderschrank hatte. Der „Express-yourself“-Anteil des Looks von Emma Watson ist vermutlich, dass sie nur einen Ohrring trägt wie einst Sarah Jessica Parker in „Flight of the Navigator“ https://www.youtube.com/watch?v=S9Ij_Z5Z9iI (Link?) von 1986. Auch das Comeback der Bluse, so aufgeputzt wie möglich, passt zu dem neuen Biederlook, der das verbindende Element all der vielen Styles ist. Lauren Cochrane vom Guardian betont zwar, dass die „neue“ Bluse nichts mit den Kostüm- und Schluppenblusen-Kombinationen, die zur Powerdressgarderobe von Maggie Thatcher gehörte, zu tun hat – allein dass die Assoziation entsteht, ist ein Zeichen.

„Ricki and the Flash“

Ich bekomme neuerdings Fotos von sich dem Erwachsensein nähernden Töchtern und Söhnen meiner Freunde von der Abifeier oder vom Abschlussball der Tanzschule. Ich sehe gutaussehende junge Menschen, geschmackvoll angezogen in schicken Kleidern und gut sitzenden Anzügen, die Fingernägel sind maniküriert, manchmal sogar in Blau oder Grau lackiert! – War Punk vielleicht tatsächlich der letzte originelle Look von der Straße, bis Versace ihn auf den Laufsteg brachte, indem er die Sicherheitsnadeln vergoldete?
Gerade habe ich Meryl Streep in ihrem neuen Film „Ricki and the Flash“ (zu deutsch: Ricki – Wie Familie so ist) gesehen. Sie spielt eine in die Jahre gekommene Rocksängerin, die ihre Familie einst aufgegeben hat, um ihren Traum vom Rock and Roll zu leben. Nicht zuletzt ihr schriller, geschmackloser Look entsetzt ihre arrivierten Kinder, als sie die Familie nach Jahren wieder besucht. Am Ende rockt sie die geschmackvoll hippe Hochzeitsfeier ihres Sohnes. So kitschig der Film in mancher Hinsicht ist, er erinnert daran, dass Persönlichkeit etwas mit wachem Blick, einem strahlenden Lachen, aufrechter Haltung, Witz, Grazie und einer ausdrucksvollen Stimme zu tun hat – mit dem Spirit eines Menschen. Persönlichkeit lässt sich nicht anziehen und nicht kaufen. Schön, wenn Klamotten Persönlichkeit unterstreichen, sie machen aber keine.