Mann darf sich im Kleiderschrank der Damen umsehen
Es gab schon mal Zeiten, wo er ganz Pfau war und sich wohl gerade deswegen unbeschreiblich männlich fühlte. Über das Verständnis der Männlichkeit sagt die Kleidung nämlich zunächst nichts aus. Die Labels in dem noch übersichtlichen Bereich „Open“ auf der Pitti, präsentieren Schuhe, Brillen, Outdoorjacken, ethnisch gemusterte Ponchos, insgesamt alles Kleidungsstücke, die eher aus der Männergarderobe kommen und auch von Frauen getragen werden könnten – oder schon längst getragen werden.
Was dann aber am Wochenende auf den Schauen der italienischen Designer in Mailand gleich nach der Pitti gezeigt wurde beweist, dass Mann sich auch im Kleiderschrank der Damen umsehen darf. Große Aufmerksamkeit bekam zum Beispiel die Gucci-Schau, weil hier der neue Designer Michele Allessandro das erste Mal das Bild der Männer bestimmte. Schon für die Damenschau hat er den gewohnten stromlinienförmigen sexy Jet-Set-Glamour der Marke aufgebrochen und durch einen romantisch grundierten Edel-Vintage-Look ersetzt. Der war ohne Frage feminin gebrochen nur durch die üblichen Referenzen an die Männermode, Sakkoformen, Hemdblusen, etc., die im Grunde heute selbstverständlich zum Kanon der weiblichen Garderobe gehören. Dass sie mal typisch männlich waren, zählt im Grunde nicht. Wenn bei der Männerschau aber sehr junge, sehr dünne Jungs die gleichen Spitzen- und Schleifenblusen tragen wie die Damen, dann merkt man doch auf.Toyboys für die Fashionista
Dolce und Gabbana sind für Prachtenfaltung bekannt. Aber die Chinoiserien, in die sie ihre Männer stecken, die zarten Stickereien, die Kimonojacken, das sind zumindest Männerbilder, wie man sie sehr, sehr lange nicht gesehen hat. Statt eines Stiers für den Sommer 2015 ist nun der Pfau Motiv auf vielen Jacken und Shirts. Miuccia Prada steckt ihre Jungs in rockartige kurze Hosen, delikate Farben und unerwartete Kombinationen. Auch hier sind die Männer noch Heranwachsende. Toyboys für die Fashionista. Während die Damenmode die selbstbewusste erwachsene Frau als Vorbild entdeckt, weiblich ohne Kompromisse, aber ganz sicher nicht Dekoration an der Seite des erfolgreichen Mannes, wird bei den Männern nunmehr mit einer Femininität gespielt, die ganz im Widerspruch steht zu den Vollbärten der Hipster, die auch die vielen männlichen Modeschaffenden noch immer tragen. Vielleicht ist es aber auch gar kein Widerspruch, vielleicht sind die blassen Jungs, die kapriziösen Farben, die roten Münder der Rokoko-Knaben von Moschino alles Ausdruck der fragilen männlichen Seele, die sich zu positionieren versucht neben den Frauen, die sich modisch gefunden zu haben scheinen.
„Female Shift“ – ein Megatrend
Selbstbewusst tragen die Damen nach Lust und Laune feine Kleidchen und High Heels, Jeans und Sneakers und genauso Anzug. Manchmal auch alles durcheinander. Ihr Selbstbild als Frau gerät dadurch trotzdem nicht ins Wanken. „Female Shift“ heißt einer der Megatrends, den Experten prognostizieren. Frauen setzen sich durch in der Arbeitswelt, bestimmen demnächst global die Geschicke. Madame Lagarde und Angela Merkel sind also Trendsetterinnen. Auch in modischer Sicht: Die elegante Französin genauso wie Merkel, die in ihrer Arbeitsuniform eine gute Figur macht. Das ganze Mann-Frau-Ding ist deutlich im Wandel. Amal Clooney und der hübsche George an ihrer Seite sind Vorbilder für neue Konstellationen im Verhältnis Mann-Frau. Die Frauen scheinen allerdings schon weiter zu sein. Die Männer suchen ihr Selbstverständnis noch. Und die Mode spiegelt den Zeitgeist, der die männliche Rolle neujustiert. Ob das perspektivisch zu einer Angleichung der Geschlechter führt oder einer Ausdifferenzierung in eine Vielzahl von Varianten, Frau mit Bart, Mann im Kleid, Muskelmann mit Mädchenseele … Wer weiß. Männer sollten sich jedenfalls keine Sorgen machen. Ihre Möglichkeiten werden vielfältiger, wenn sie denn nur wollen. Vermutlich werden sie über kurz oder lang Spaß daran finden, den Pfau zu spielen. Das muss ja auch nicht zwangsläufig bedeuten, in ein Kleid zu schlüpfen.