Das Mann-Frau-Ding

Moschino Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Florence

Moschino Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Florence

In einem Kommentar zu einem Bericht über Conchita Wurst beklagte ein Leser, dass immer über die „Frau mit Bart“ und nicht über den „Mann in Frauenkleidern“ gesprochen werde. „Sagt das Kleid mehr über die Geschlechtsdefinition aus als der Bart?“, fragt er.
Gucci Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Milan

Gucci Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Milan

So viel zur Verwirrung um die Genderfrage. Conchita ist ein Mann, der Spaß daran findet, sich als Frau zu verkleiden, ohne seine Männlichkeit ganz zu verbergen. Ein Spezialfall von vielen, der zeigt, wie vielfältig die Möglichkeiten sind. Genauso wie die stramme Dame, die neulich in der Talkshow von Sandra Maischberger neben ihrer zierlichen Ehefrau saß, die er, nunmehr sie, noch als Mann geheiratet hatte.
Dolce & Gabbana Menswear Spring Summer 2016 in Milan

Dolce & Gabbana Menswear Spring Summer 2016 in Milan

Ganz selbstverständlich erklärte sie, dass sie sich nur einen Busen und das Kinn habe weicher machen lassen, aber „untenrum“ auf korrigierende Maßnahmen verzichtet hätte. „Das wäre ja kontraproduktiv gewesen, ich stehe doch auf Frauen“.
Prada Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Milan

Prada Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Milan

So weit, so bunt. Was hat das mit der aktuellen Männermode zu tun? Es tut sich was, auch sie ist bunt und auffällig vielfältig. Pitticolor war das Thema der weltweit wichtigsten Männermodemesse Pitti Uomo im Juni in Florenz. Zum ersten Mal gab es einen Bereich mit dem Namen „Open“, der sich mit Unisex-Mode oder, zeitgeistmäßig ausgedrückt, „genderless fashion“ beschäftigt. Und ausgerechnet auf einer Modenschau afrikanischer Modemacher läuft ein Mann mit Vollbart, langem Haar und grimmigem Gesicht in kunterbunten Kleidern und Rock über den Laufsteg. Das hat hier weder etwas mit Transgender noch mit Transvestitentum zu tun, sondern mit einer männlichen Prachtenfaltung, wie sie lange nicht gesehen war.
Damir Doma  Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Paris

Damir Doma Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Paris

Die es ja aber durchaus schon einmal gab. Die bis ins Groteske zurechtgemachten Rokoko-Jünglinge, die Jeremy Scott für Moschino über den Laufsteg schickt, erinnern daran. Der gedeckte Anzug war nicht immer das obligatorische Kleid des Mannes.
Arthur Arbesser Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Florence Foto: Giovanni Giannoni

Arthur Arbesser Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Florence
Foto: Giovanni Giannoni

Mann darf sich im Kleiderschrank der Damen umsehen

Es gab schon mal Zeiten, wo er ganz Pfau war und sich wohl gerade deswegen unbeschreiblich männlich fühlte. Über das Verständnis der Männlichkeit sagt die Kleidung nämlich zunächst nichts aus. Die Labels in dem noch übersichtlichen Bereich „Open“ auf der Pitti, präsentieren Schuhe, Brillen, Outdoorjacken, ethnisch gemusterte Ponchos, insgesamt alles Kleidungsstücke, die eher aus der Männergarderobe kommen und auch von Frauen getragen werden könnten – oder schon längst getragen werden.

Andrea Pompilio Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Milan

Andrea Pompilio Fashion Show, Menswear Collection Spring Summer 2016 in Milan

Was dann aber am Wochenende auf den Schauen der italienischen Designer in Mailand gleich nach der Pitti gezeigt wurde beweist, dass Mann sich auch im Kleiderschrank der Damen umsehen darf. Große Aufmerksamkeit bekam zum Beispiel die Gucci-Schau, weil hier der neue Designer Michele Allessandro das erste Mal das Bild der Männer bestimmte. Schon für die Damenschau hat er den gewohnten stromlinienförmigen sexy Jet-Set-Glamour der Marke aufgebrochen und durch einen romantisch grundierten Edel-Vintage-Look ersetzt. Der war ohne Frage feminin gebrochen nur durch die üblichen Referenzen an die Männermode, Sakkoformen, Hemdblusen, etc., die im Grunde heute selbstverständlich zum Kanon der weiblichen Garderobe gehören. Dass sie mal typisch männlich waren, zählt im Grunde nicht. Wenn bei der Männerschau aber sehr junge, sehr dünne Jungs die gleichen Spitzen- und Schleifenblusen tragen wie die Damen, dann merkt man doch auf.

Toyboys für die Fashionista

Dolce und Gabbana sind für Prachtenfaltung bekannt. Aber die Chinoiserien, in die sie ihre Männer stecken, die zarten Stickereien, die Kimonojacken, das sind zumindest Männerbilder, wie man sie sehr, sehr lange nicht gesehen hat. Statt eines Stiers für den Sommer 2015 ist nun der Pfau Motiv auf vielen Jacken und Shirts. Miuccia Prada steckt ihre Jungs in rockartige kurze Hosen, delikate Farben und unerwartete Kombinationen. Auch hier sind die Männer noch Heranwachsende. Toyboys für die Fashionista. Während die Damenmode die selbstbewusste erwachsene Frau als Vorbild entdeckt, weiblich ohne Kompromisse, aber ganz sicher nicht Dekoration an der Seite des erfolgreichen Mannes, wird bei den Männern nunmehr mit einer Femininität gespielt, die ganz im Widerspruch steht zu den Vollbärten der Hipster, die auch die vielen männlichen Modeschaffenden noch immer tragen. Vielleicht ist es aber auch gar kein Widerspruch, vielleicht sind die blassen Jungs, die kapriziösen Farben, die roten Münder der Rokoko-Knaben von Moschino alles Ausdruck der fragilen männlichen Seele, die sich zu positionieren versucht neben den Frauen, die sich modisch gefunden zu haben scheinen.

„Female Shift“ – ein Megatrend

Selbstbewusst tragen die Damen nach Lust und Laune feine Kleidchen und High Heels, Jeans und Sneakers und genauso Anzug. Manchmal auch alles durcheinander. Ihr Selbstbild als Frau gerät dadurch trotzdem nicht ins Wanken. „Female Shift“ heißt einer der Megatrends, den Experten prognostizieren. Frauen setzen sich durch in der Arbeitswelt, bestimmen demnächst global die Geschicke. Madame Lagarde und Angela Merkel sind also Trendsetterinnen. Auch in modischer Sicht: Die elegante Französin genauso wie Merkel, die in ihrer Arbeitsuniform eine gute Figur macht. Das ganze Mann-Frau-Ding ist deutlich im Wandel. Amal Clooney und der hübsche George an ihrer Seite sind Vorbilder für neue Konstellationen im Verhältnis Mann-Frau. Die Frauen scheinen allerdings schon weiter zu sein. Die Männer suchen ihr Selbstverständnis noch. Und die Mode spiegelt den Zeitgeist, der die männliche Rolle neujustiert. Ob das perspektivisch zu einer Angleichung der Geschlechter führt oder einer Ausdifferenzierung in eine Vielzahl von Varianten, Frau mit Bart, Mann im Kleid, Muskelmann mit Mädchenseele … Wer weiß. Männer sollten sich jedenfalls keine Sorgen machen. Ihre Möglichkeiten werden vielfältiger, wenn sie denn nur wollen. Vermutlich werden sie über kurz oder lang Spaß daran finden, den Pfau zu spielen. Das muss ja auch nicht zwangsläufig bedeuten, in ein Kleid zu schlüpfen.