Der gute Ton – Keramik Comeback

Das New Yorker Pärchen zu Besuch in Berlin, beide Thirtysomethings, zögert nur kurz bei der Frage, ob es ein oder zwei Wandkonsolen aus Keramik der französischen Manufaktur Atelier Polyhedre mit über den großen Teich nehmen soll. Na wenn schon denn schon, dann gleich lieber zwei. So schnell werden sie nicht wieder nach Berlin Prenzlauer Berg in den Shop „Biscuit China“ kommen. Und irgendwie werden sich die Mitbringsel schon verstauen lassen, Übergewicht hin oder her. Erstaunlich eigentlich, dass die New Yorker ausgerechnet in Berlin Keramik shoppen. Die New York Times hat doch gerade einen Artikel mit der Überschrift „Pottery is the new Pilates“ veröffentlicht. Folgt man dem, so ist New York ein Mekka der Töpferei. An jeder Ecke – mindestens im trendigen Brooklyn- scheinen Studios mit Keramikkursen zu locken, in denen toughe Businesswomen, Anwälte und und gestresste digital Nomades an der Drehschreibe zur Ruhe kommen, sich im wahrsten Sinne des Wortes erden und mit den Elementen in Verbindung bringen. Erde, Wasser, Feuer, das braucht man ja um zu töpfern. Und es verlangt natürlich volle Konzentration auf das Objekt, zwingt zu Entschleunigung, genauso wie zu Kreativität und Achtsamkeit. Mehr Trend geht nicht. Die Zeit an der Töpferscheibe vergeht wie im Fluge und während der handwerklich meditativen Beschäftigung sind alle Sorgen um Deadlines, laufende Verfahren oder Viren im Programm vergessen. Getöpferte Vasen, Teller, Becher und Schalen gelten längst nicht mehr als unzulängliche Ergebnisse esoterischer Selbstfindungsseminare, sind keine grobwandigen Ungetüme und haben den Weg aus der alternativen Töpferecke gefunden.

Accessoires einer geschmackvollen Lebensführung

 

Andrea Baumann aus Sistrans bei Innsbruck hat auf der Möbelmesse in Mailand in diesem Frühjahr unter anderem ihre feinen Glanzgoldschalen – von Hand aufgebaut, zwei Mal gebrannt, – gezeigt. Sie erinnert sich noch an die späten 70er und 80er Jahre, da war Keramik schon Mal ein großes Ding, die Klientel allerdings eine andere. Die Anti-Atomkraft-Bewegung, Räucherstäbchen und alternative Teestuben gehörten zwingend zusammen. In den 90er Jahren war das dann alles genauso out wie die Keramik. Jetzt wird sie wieder entdeckt als Accessoire einer geschmackvollen, nicht politischen Lebensführung und weltweit in schicken Concept Stores angeboten. Moderne Teeservice, Vasen oder Teller entstehen zum Beispiel in Polen in den Studios Åoomi oder Hadaki, genauso wie in Portugal, wo etwa Anna Morgada wunderbar naiv anmutende Vasen aus hellem Ton herstellt. In England „töpfert“ Aliyah Hussain in Manchester zeitgenössischen Schmuck, in den Niederlanden weist Foekje Fleur mit ihren dekorativen Bottle Vases auf das immer größer werdende globale Problem mit Plastikmüll hin. Weggeworfene Plastikflaschen, die die Künstlerin findet, bilden die Gießformen der Bottle Vases, die es in verschiedensten Pastelltönen und Formen gibt. Wer beginnt, sich für Keramik zu interessieren, ist erstaunt wieviele Keramikerinnen und wieviele unterschiedliche Ansätze es gibt, mit dem Material umzugehen. Ganz sicher lässt sich die momentane Keramikbegeisterung auch mit der „Farm-to-table-Bewegung“ erklären. Biologisch produziertes Gemüse aus der Region und das Steak vom glücklichen Rind passen mindestens gedanklich einfach perfekt zur unperfekten Optik irdener Teller. Gehypte Restaurants wie das „Skykitchen“ in Berlin, das Noma in Kopenhagen oder der Japaner Koi in München servieren ihre Genüsse auf tönernen Tellern. Gerade hoch gehandelte Keramikkünstler sind zum Beispiel die Deutschen Matthias Kaiser (www.matthiaskaiser.com) und Christine Roland (www.cancatstalktodogsintheirownway.net), der Däne Anders Arhoj (www.arhoj.com), oder der Japaner Yasuhiro Cúze (www.studio-cuze.tumblr.com). Pottery Star Eric Landon (www.tortus-copenhagen.com), sesshaft in Dänemark, hat auf Instagram unter seinem Firmennamen Tortus Copenhagen rund 790.000 Follower.

Keramik: Sehnsucht nach Handwerklichem und Ursprünglichem

 

Was eigentlich genau ist aber Keramik? Grob unterteilt ist es der Oberbegriff für Irdengut, Steingut, Steinzeug und Porzellan, alles hergestellt aus Ton und Porzellanerde (Kaolin). Der Begriff stammt aus dem Altgriechischen. Im antiken Athener Bezirk Kerameikos wurden durch Brennen haltbare Objekte aus Tonmineralien hergestellt. 2018 gibt es nun allein mit dem #kiln, englisch für Brennofen, fast 160.000 Posts auf Instagram. Und natürlich posted auch Karoline Borsch, die erst Ende letzten Jahres Geschäft und Onlineshop Biscuit China für Keramik, Porzellan und Glaswaren aus aller Welt eröffnet hat, fleißig Bilder der neuesten Arbeiten ihrer „Artists“. Wenn sie nicht in eigener Sache unterwegs ist, sind Instagram und Pinterest für sie wahre Fundgruben auf der Suche nach neuesten Keramiktrends. Karolin gehört genau zu der Spezies moderner Großstädter, die aktuell so anfällig sind für Kunsthandwerk im Allgemeinen und Keramik im Speziellen. Als Grafikdesignerin beschäftigte sie über zehn Jahre vor allem das Digitale, Virtuelle, industriell Genormte und Standardisierte. In ihren Beruf ging es um Effizienz und Optimierung. Das erschien ihr irgendwann zu wenig. Sie sehnte sich nach mehr Leidenschaft und Herzblut auch in ihrem Job und beschloss, eine schon lange gehegte Passion zum Beruf zu machen. Wer sie sprechen hört, hat keinen Zweifel, dass ihr kleiner Laden mit angeschlossener Töpferwerkstatt für sie nicht Beruf, sondern Berufung ist. Die Sehnsucht nach Handwerklichem, Ursprünglichem, nach Dingen, deren Reiz in ihrer Individualität liegt, im scheinbar Unperfekten, teilt sie weltweit mit vielen anderen, die genug haben von industriell hergestellten Waren. Unterschiedlichkeit wird nicht als Makel, sondern als Qualität empfunden, als Kennzeichen des Kunsthandwerks im eigentlichen Sinne. Und gerade Keramik spielt bei dieser neuen Welle der Art & Craft Bewegung eine führende Rolle. Als ganz besonders reizvoll werden Unregelmäßigkeiten empfunden, die entstehen, wenn ungereinigter Ton, in dem auch Eisenerz, Sand oder Quarz enthalten sind, Verwendung findet. In der japanischen Keramiktradition sind diese „Fehler“ Symbol dafür, dass auch der Mensch nicht perfekt ist. Zu den ältesten bekannten Keramikobjekten gehört die Venus von Dolní Věstonice, deren Alter auf 25.000 bis 29.000 Jahre geschätzt wird. Gut möglich übrigens, dass die Erfindung zuerst der Töpferscheibe und dann des Rades etwa 4000 vor Christus miteinander zusammenhängen. Keramik hat den Menschen also wirklich weitergebracht. Auch diese jahrtausendealte Tradition macht sie für den Zeitgeist äußerst begehrenswert. „Tradition“, dieses Wort lieben die Leute aus der Marketingbranche, es verheißt Beständigkeit, Nachhaltigkeit und ist mit Gefühl aufgeladen. Beim Entwurf und der Herstellung formschöner Gebrauchskeramik hat sich in den letzten Jahren allerdings viel getan. Und – die neuen Freunde der Töpferei werden es nicht gerne hören – die traditionelle Handarbeit an der Töpferscheibe ist eindeutig eine Angelegenheit von gestern. Sehr häufig kommt moderne Keramik jetzt aus dem 3D Drucker. Anna van der Lei und Kristos Mavrostomos etwa baten Kinder das „beste Geschirr der Welt“ zu malen. Zehn Entwürfe wurden schließlich ausgewählt, in 3D-Versionen modelliert und schließlich in 3D gedruckt. Die Geschichte der Keramik ist also noch lange nicht zu Ende. Im Gegenteil, ihre Zukunft bietet neue, vielversprechende Möglichkeiten. Den Hipstern an der Drehscheibe kann man, das zeigt sie mit großer Klarheit, den Vergleich mit Nostalgikern die ihre Vinylscheiben pflegen oder sogar das Grammophon anwerfen, leider nicht ersparen.