Die Korea-Welle

Das ist doch mal eine gute Nachricht: Es kommt eine Welle aus Korea auf uns zu. Nein, im Grunde genommen ist sie schon angerollt. Sie heißt „Hallyu“ und muss uns keine Angst machen. Der Begriff steht nämlich für die Begeisterung für südkoreanische Trends aus Mode, Musik, Beauty und Küche. Wie erfreulich! Sonst sind die Meldungen aus diesem Teil der Welt ja meist politischer Natur und in der Regel beunruhigend. Kein Wunder: Die einzige Landgrenze der Republik Südkorea ist die zum Nachbarn Nordkorea mit dem gefährlich bizarren Diktator Kim Jong-un. Dass Süd- und Nordkorea zum ersten Mal eine gemeinsame Mannschaft für die Olympischen Spiele aufsgestellt haben und die Sportler zusammen ins Stadion eingelaufen sind, beruhigt die Weltöffentlichkeit gerade ein wenig, aber nicht zu sehr. Zu viele, mehr oder weniger große Atomknöpfe stehen hier und da auf einem Schreibtisch, als dass man sich keine Sorgen machen müsste. Über den politischen Turbulenzen wird schnell übersehen, welche Innovationskraft aus Korea kommt. Samsung könnte zum Beispiel Apple durchaus den Rang ablaufen. In Berlin, Paris oder London hält man sich leicht für den Nabel der Welt. Wer aber aus Seoul, einer Megastadt mit über 10 Millionen Einwohnern, gelegen im Ballungsraum Sudogwon mit über 25 Millionen Menschen, zu „uns“ reist, erlebt die europäischen Metropolen und auch „uns“ vermutlich als liebenswert museal.

Wer Kimchi zum Lunch bestellt, ist noch lange kein Korea Trend-Experte

 

 

In Asien entsteht Zukunft und gerade in Korea werden Lifestyle-Trends gesetzt. Am spürbarsten ist das schon in der Küche. Die Deutschen begeistern sich für die feurigen und mit reichlich Knoblauch gewürzten koreanischen Speisen. Kimchi etwa, der scharf marinierte, vergorene Kohl, hat inzwischen viele Fans. Und auch das koreanische Barbecue Bulgogi oder Bibimbap, ein Reisgericht mit verschiedenen Gemüsesorten, etwas Rindfleisch und einem Spiegelei obendrauf, werden in den vielen neuen koreanischen Restaurants in Szenevierteln in Berlin, Hamburg oder München eifrig bestellt. Längst beeinflussen koreanische Gerichte auch Rezepte von Sterneköchen wie Tim Raue, finden sich Chilipaste und Sesamöl in vielen deutschen Küchen Allerdings, wer Kimchi oder Bulgogi schon wie selbstverständlich zum Lunch bestellt, darf sich nicht als Trend-Experte in Sachen Korea fühlen. K-Mode, K-Musik, K-Kosmetik: Korea ist inzwischen in vielen Bereichen trendsetzend. Karl Lagerfeld hat das Potential Seouls als Fashion City früh erkannt: 2014 zeigte er dort die Chanel-Cruise-Show. Die großen alten Namen der Modewelt waren und sind gerade auch in Asien sehr begehrt, aber Korea entwickelt längst ein eigenes Selbstbewusstsein in Sachen Lifestyle. Koreanische Modemacher werden mit großem Interesse in den USA und Europa empfangen und sie tun einiges dafür, um sich hier bekannt zu machen. Auf der Pitti Uomo in Florenz, der weltgrößten Männermode-Messe im Januar, war Korea zum Beispiel Gastland. Auf der Fashion Week in New York präsentierten sich im September die koreanischen Labels ‚Lie by Chung Chung Lee‘ und ‚Greedilous by Younhee Park‘. Gerade das Thema der Sommerkollektion von ‚Lie‘ gibt ein gutes Beispiel dafür, was Mode aus Korea so attraktiv macht. Die Modelle waren inspiriert von einer Blume in ihren verschiedenen Stadien – von der Knospe, über die perfekte Schönheit der Blüte, bis zum melancholischen Zauber des Verwelkens. Bei koreanischen Modemachern ergänzen sich Minimalismus und Maximalismus, anstatt im Widerspruch zueinander zu stehen. Das für europäische Augen oft etwas exzentrische Modebild Asiens findet in Korea eine Balance, bei der Dekorativität unbedingt erwünscht ist. Das kann man naiv finden oder aber einfach schön und unbeschwert. Auch in der Männermode gelingt der Spagat zwischen Avantgarde und Tragbarkeit, wie in Florenz bewiesen wurde. Das eher konzeptuelle Label ‚Bmuet(te)‘ schrieb auf die Kragen eines Polohemds „Weird but beautiful“, also „merkwürdig aber schön“. Und das war programmatisch für die Kollektion, in der etwa ein im Rücken zugeknöpftes Hemd mit einem rückenlosen Pullover kombiniert wird, ein Sweatshirt auch als Hose getragen werden kann oder Bomberjacke und Mantel unerwartet zu einer Jacke mit neuen Proportionen verschmelzen. Das Label ‚Beyond Closet‘ wiederum zeigte eine Neuinterpretation des amerikanischen Preppy-Stils, ebenfalls mit koreanischem Humor und Schönheitssinn gewürzt. Samtanzüge, lilafarbene Jogginganzüge, Crockett-Mützen, Hundemotive, Fan-Schals oder Tennis-Stirnbänder und Häckeljacken finden zu einer schrägen und doch merkwürdig homogenen Mischung zusammen. Es sei Kleidung, so beschreibt es der Designer Ko Taeyong, „für einen überaus attraktiven und sehr verwirrten jungen Mann“. Der Erfolgskurs auf dem sich die koreanische Mode befindet, hängt wohl damit zusammen, dass sie Tradition und modernste Technologie mit Humor, Optimismus und Kleidsamkeit verbindet. In der Regel ist sie auch noch einigermaßen erschwinglich, was sicher auch nicht schadet. In Berlin etwa bietet der Knok Store koreanisches Design – selbstverständlich auch zum bestellen. Die Onlineshops Stylananda oder W Concept – noch Geheimtipps – bieten ebenfalls einen guten Überblick darüber, was in Korea gerade angesagt ist. Auch koreanische Topmodels sind übrigens inzwischen Modebotschafterinnen des Landes. Hye Park folgen auf ihrem Instagram Account @iam_hyepark immerhin 90 000 Abonnenten, Hyoni Kang (@hyoni_kang) über 390 000, Irene Kim mit ihrem bunten Haar (@ireneisgood) sogar eine Million.

Schönheit wird gemacht

 

 

Disziplin und Effizienz der Koreanerinnen gehören zu den Erfolgsfaktoren des Landes. Diese Mentalität spiegelt sich gerade auch im Bereich der pflegenden Kosmetik wieder. „Get it Beauty“ lautet das Motto. Man kommt nicht schön zur Welt, Schönheit wird erarbeitet, so die Philosophie. Natürlichkeit spielt eine eher untergeordnete Rolle. Das „Herstellen“ von Schönheit mithilfe von Experten-Tricks ist gefragt. Und die empfehlen das Layering, also die Verwendung verschiedenster Produkte übereinander, in einem sogenannten Beauty-Ritual. Kein Wunder, dass die Industrie weltweit so eine Idee preist. Viele Produkte versprechen schließlich nicht nur schöne Haut, sondern sichern vor allen Dingen hohe Umsätze. Ideal, dass beim Wort Ritual gedanklich im Westen so begehrte Seelenzustände wie Ruhe, Entspannung und Meditation mitschwingen, wo es sich doch tatsächlich um ein Zwangskonzept im Auftrag der Schönheit handelt. Beispielhaft dafür steht der Trend „Glass Skin“, den auch deutsche Frauenzeitungen propagieren. Nur eine ausgeklügelte Kombination und streng einzuhaltende Abfolge von diversen Reinigunsprozessen, Peelings, Masken, Seren und Cremes, angewendet über einen langen Zeitraum, versprechen schlussendlich den in Korea und generell in Asien so geschätzten, porzellanenen, porenfreien und perlengleich schimmernden Teint. Wobei, das bleibt in den Anleitungen nicht unerwähnt, für den wirklich perfekten „Glow“ eine positive Lebenseinstellung auch noch dazukommen muss. Laissez-faire ist in Sachen Beauty – und auch sonst – also nicht angesagt. Die Schattenseiten koreanischer Disziplin wurden gerade durch den Suizid des Boyband-Stars Jonghyun deutlich, der dem Druck des K-Pops nicht mehr gewachsen war. Musik ist in Korea im wahrsten Sinne des Wortes eine Industrie. Viele K-Pop Bands, allesamt gecasted, von Managern zusammengestellt und in ein Image gezwängt, nehmen ihre Songs und Videos auch auf chinesisch auf. Die überaus erfolgreiche Band EXO teilt sich sogar in Exo-M und Exo-K auf. Der eine Teil der Band singt Mandarin und tritt in China auf, der andere singt koreanisch und steht nur in Korea auf der Bühne. Auch in Deutschland hat der stromlinienförmige K-Pop Fans, aber längst nicht dieselbe Bedeutung wie K-Küche, K-Fashion oder K-Beauty. Der erfolgreichste Musikexport aus Korea bleibt bis auf Weiteres „Gangnam Style“ des Rappers Psy. Das Video ist übrigens auch eine schöne Illustration koreanischer Mode und Beauty-Ideale und nicht zuletzt auch des Humors des Landes. Psy und Altbundeskanzler Schröder haben in erster Linie figürlich Gemeinsamkeiten. Für die bunten Anzüge des Rappers wird sich der Brioni-Kanzler wohl nicht begeistern können, aber wir verdanken ihm eine weitere gute Nachricht aus Korea: Er hat sein Herz dort verloren. Und einen Satz koreanisch kann er auch schon: „Sarang hae yo“ – „Ich liebe Dich“.