Orchideen: Drama Baby!

Marcel Proust wurde mit Orchidee porträtiert, die Bälle des großen Gatsby mit ihnen ausgeschmückt. Oscar Wilde lässt seinen Lord Henry Wotton im Bildnis des Dorian Gray sagen: „Gestern schnitt ich mir eine Orchidee für mein Knopfloch. Es war eine wundervoll gesprenkelte Blume, so wirkungsvoll wie die sieben Todsünden.“ Das Zitat beschreibt in Kürze gut die Wirkung, die Orchideen ausüben. Ihre Schönheit kann neidisch machen; mit ihren üppigen Blütentrauben sind sie ein Sinnbild von Überfluss, und manche Arten duften absolut betörend, man möchte fast sagen wollüstig. Die Orchidee ist die verführerische Blume des Fin de Siècle, luxuriös, kostbar und ein wenig dekadent. Dandys tragen sie am Revers, Salondamen erwarten sie von ihren Verehrern. Körbeweise! Und Jackie Kennedy soll Orchideen ihre Lieblingsblumen genannt haben. Mag sein, dass das Image der Phalaenopsis und ihrer vielen Verwandten einen kleinen Kratzer bekam, als sie – nicht mehr aus tropischen Regenwäldern importiert, sondern im heimischen Gewächshaus produziert – zur Massenware wurde. Wie eine echte Diva war die Orchidee aber jederzeit zum Comeback bereit. Also, „Vorhang auf!“ und „Drama Baby!“ Kerzen, Kissen und warme Socken in beige und cremeweiß sind schön und gut, nichts gegen Zimmerfarne und die Kakteenecke, aber tropische Opulenz hat auch ihren Reiz und deutlich mehr Glamour. Minimalismus war gestern. Wir leben in schillernden Zeiten, in denen sich quasi biedermeierliche Gemütlichkeit überlebt hat, und dass Blütenblätter zählen nichts mehr über die Liebe sagt, die Anzahl der Blüten am Stiel der überreichten Orchidee schon eher. Über hundert Blüten können sich übrigens an nur einem Stiel in ihrer Schönheit überbieten.

 

„Luxurious Jungle“ – Minimalismus war gestern

 

 

Die neue Prächtigkeit und Tropenlust begannen vielleicht mit der Wiederentdeckung von Samt und endet nicht mit smaragdgrünen Tapeten, auf denen es üppig blüht und sich jugendstilartig Ranken winden. Auch die Mode liebt schwüle Exotik. Zum Beispiel, auf den seidenen Edel-Pyjamas des italienischen Labels For Restless Sleepers finden sich Palmenwälder und Blüten, von denen schwerer Duft auszugehen scheint. Sie passen perfekt zum „Luxurious Jungle“. So heißt das treffende Motto einer Interieur-Kollektion von Roberto Cavalli. Nun stand Cavalli noch nie unter Minimalismusverdacht, aber mit diesem Slogan erwies er sich als Trendsetter. Tropische Blätter und Früchte, Zebras, Papageien oder Löwen finden sich inzwischen auch sonst in vielen Home-Kollektionen als Prints auf Bettwäsche, Kissen oder Plaids. Sie verwandeln das traute Heim in eine exotische Destination. Die Monstera darf übrigens auch bleiben. Sie ist ja tatsächlich – man mag es kaum glauben – nicht im Wintergarten geboren, sondern ursprünglich ebenfalls ein Kind der Tropen. Aber sie muss ergänzt werden, zum Beispiel durch Palmen und Bananenpflanzen. Der Trend „Luxurious Jungle“ lebt von üppiger Großzügigkeit. Und deshalb passen zu diesem leicht manierierten und ein wenig neureichen Look auch kristallene Leuchter, weiche Samtsofas, Whisky Tumbler und goldene Champagnerbecher. Ein Arrangement tropischer Früchte tut ein Übriges,un d die Orchideen dürfen gerne noch mit Hibiskusblüten kombiniert werden. Denn, um das noch einmal zu betonen, wir gehen nicht auf Safari. Die Villa des großen Gatsby ist die stilistische Inspiration. Oder wenigstens ein eleganter Nachtclub, in dem Tom Fords die Sinne verwirrendes Parfum ‚Black Orchid‘ in der Luft liegt. Das Thema Orchidee bestimmt übrigens auch die Farbwelt der Einrichtung und bietet damit eine ungeheure Bandbreite. Orchideen haben nämlich eine schier endlose Vielzahl an pudrigen Farbschattierungen und Musterungen anzubieten. Vom reinen Weiß über Rosé und Pink, fast goldfarben, und bis hin zu Schwarz. Ein violettfarben bezogener Sessel kann durchaus treffend als orchideenfarben beschrieben werden, genauso wie bei dem Vorhang in zartem Gelb und mit braunen Tupfen das Thema überzeugend gespielt wird.

 

Orchideen: Ihre Schönheit ist morbide

 

 

Die Orchidee selbst verbreitet vor allem als Schnittblume ihre gerade so angesagte üppig verschwenderische Atmosphäre. Ein Stiel in eleganter Vase wirkt schon Wunder. Ein Bouquet, vielleicht noch ergänzt mit großen Blättern, entführt direkt in das Boudoir eines Filmstars. Tatsächlich kommt es bei der Dekoration mit Orchideen darauf an, nicht zu kleckern, sondern zu klotzen. Es müssen viele Blüten sein, üppig und groß sollen sie ausfallen. Also, die traurigen Gestalten, die auf manchen Fensterbänken auf die nächste Blüte warten, sind aller Ehren wert und erfreuen vermutlich Sammler, aber sie kreieren nicht den gewünschten Großen-Gatsby-Effekt. Deshalb werden sie im hauseigenen Dschungel versteckt, bis sie wieder vorzeigbar sind. Es gibt weltweit so um die 30.000 Orchideenarten. Darunter kleine, zarte, hübsche, auch heimische. Wir wissen sie zu schätzen, überlassen sie aber den Botanikern. Von den allzu unscheinbaren empfiehlt es sich, eine Träne im Auge ist erlaubt, zu trennen. Es sind die großen tropischen, in den morbiden Farben, an die wir wirklich unser heißes Herz verlieren. Ja, die Schönheit einer Orchidee ist irgendwie morbide und dabei – fast – unsterblich. Damit ähnelt sie Venedig. Allen Touristenströmen und Donna-Leon-Krimis zum Trotz: Wer Venedig das erste Mal erlebt, ist überwältigt von seiner morbiden Schönheit. Und Venedig, genauso wie die Orchidee, lässt sich nicht kleinkriegen. In der Vase hält sich ein Stiel bis zu drei Wochen. Wenn Brasilianer Orchideen verschenken, geben sie der oder dem Beschenkten für jede Blüte einen Kuss. Eine schöne Geste. Sie bedeutet aber auch, dass Orchideen nur die bekommen, die auch geküsst werden wollen und sollen.

Artikel Zuerst veröffentlicht auf zeitMagazin ONLINE