Harken und sich erinnern

Der Friedhof als Erinnerungsgarten. Moderne Grabgestaltung

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Die letzten Monate des Jahres sind – auch wenn Phänomene der Klimaveränderung ihnen inzwischen mitunter ein anderes Gesicht geben – im allgemeinen Bewusstsein eher trübe und ungemütlich, bevor dann der Glanz der Weihnachtskerzen die Herzen erwärmt. Wer schon sonst nicht zum Friedhof geht, den treibt jetzt das Gewissen, und er wird darin bestätigt, dass dieser Ort der letzten Ruhe mindestens ein melancholischer ist. Das Laub auf dem Grab leuchtet nicht golden im Sonnenschein, sondern ist feucht und faulig und muss entsorgt werden – wieder nicht daran gedacht, eine kleine Harke mitzubringen.

Der Friedhof als Garten der Erinnerung. Grabpflege ist Gartenpflege

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Und die Erikapflanzen, die man vielleicht noch gerade noch in die kalte Erde setzen kann, sind auch nicht dazu angetan, die Laune zu verbessern. Der Friedhof im November präsentiert sich in der Regel so trübe wie das Gewissen derjenigen, die glauben, sie würden hier viel zu selten den nicht mehr auf Erden weilenden Lieben einen Besuch abstatten. Wie schade. Da stellt sich doch die Frage, für wen der Friedhof noch von Bedeutung ist: für die Toten oder deren Hinterbliebene? Für wen eigentlich wird das Laub entfernt und die Erika gepflanzt? Den Toten gedenken kann man doch überall.

Moderne Grabbepflanzung. Erinnerungsgarten

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So argumentieren diejenigen, die eine Aufhebung der Friedhofspflicht fordern, die ihre Asche etwa im Meer verstreut oder die Urne auf dem heimischen Fensterbrett platziert wünschen. Andererseits tun sich aber auch viele Angehörige mit dem Wunsch nach einer alternativen oder auch anonymen Bestattung auf einem Grabfeld schwer. Sie spüren, dass ihnen damit ein Ort des Abschiednehmens genommen wird.

Ein Ort der Erinnerung: Der Friedhof

Foto: GPP.

Es gibt gerade in Großstädten eine Gegenbewegung, einen neuen Blick auf den Friedhof als innerstädtische grüne Oase, als Lebensraum für Pflanzen und Tiere, als einen therapeutischen Ort der Begegnung mit sich selbst und dem Verstorbenen – und, wenn gewünscht, auch mit anderen Trauernden. Es ist nämlich eine besondere Qualität von Friedhöfen, dass sie Privatheit bieten und man doch nicht alleine ist. Hier wird Trauer respektiert und man weiß doch andere Menschen in der Nähe.

Ein Ort der Erinnerung: Der Friedhig

Foto: GPP.

Der Friedhof ist also mit seinen Besuchern, den Pflanzen und Bäumen, den Eichhörnchen und Schmetterlingen, vielleicht auch der einen oder anderen herumstromernden Katze, nicht allein ein Ort der Erinnerung, sondern auch des Lebens, auf dem sogar neue Beziehungen entstehen. Trauer kann verbinden.

Trauer und das Glück der Erinnerung liegen nahe beieinander

Der Friedhof als Erinnerungsgarten

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Betrachtet man den Friedhof als eine Art öffentlichen Garten, ist man von der gerade so ansteckenden Begeisterung für die Idee des Urban Gardening nicht weit entfernt. Noch gibt es eine Scheu vor Nutzpflanzen auf dem Friedhof, aber im Zuge dieser Bewegung wird sich das ändern, mindestens Beeren und andere Früchte können ein Beet schmücken und ihm einen ganz eigenen, individuellen Charakter geben. Was liegt denn näher, als einem einst begeisterteren Urban-Gardener oder einer Hobbygärtnerin Setzlinge aus dem Hausgarten auf das Grabbeet zu pflanzen? Friedhöfe sind in einer modernen Interpretation Erinnerungsgärten, in denen Trauer und das Glück der Erinnerung ganz nahe beieinanderliegen. Das Bedürfnis des Einzelnen, sich in seiner Einmaligkeit darzustellen, und die Individualisierung unserer Gesellschaft spiegeln sich darin, wie Angehörige heute Grabbeete gestalten. Christoph Killgus schlägt in seinem Ratgeberbuch „Gräber persönlich gestalten“ Bienenweidepflanzen für das Grab eines Imkers vor – oder für Fußballfans kugelrunden Buchsbaum. Warum auch nicht das Grabbeet einer Malerin mit Pflanzen in Form einer Farbpalette schmücken? Natürlich liegt es nahe, die Lieblingsblumen des Verstorbenen zu pflanzen oder sich vorzustellen, in welcher Art von Garten er sich wohlgefühlt hätte. Die Gestaltung des kleinen Grabgartens soll dem Verstorbenen in seiner Einmaligkeit gerecht werden, den pflegenden Hinterbliebenen hilft die Garten- bei der Trauerarbeit. Individuell gestaltete Beete bereichern einen Friedhof und machen ihn heiterer. Das gilt auch für die Grabsteine: Soll es weißer Marmor sein, ein naturbelassener Findling oder eine beim Künstler bestellte Skulptur? In ihrem gerade bei Kiepenheuer und Witsch erschienenen Buch „Gestatten Sie, dass ich liegen bleibe“ beschäftigen sich die Soziologen Thorsten Benkel und Matthias Meitzler mit der Gestaltung von Grabsteinen und zeigen anhand von Grabinschriften, wie die Individualisierung den modernen Friedhof prägt. Inschriften wie „Lach doch mal“, „Dein letztes Match hast Du verloren“, oder „Nur tiefergelegt“ zeugen davon, genauso wie Skier, Handys, Aschenbecher oder Comicfiguren als Grabsteinmotive. Natürlich kann das, was der eine für schön oder mindestens originell hält, beim anderen die Grenzen des guten Geschmacks überschreiten. Toleranz und Rücksichtnahme müssen in Balance gebracht werden, Friedhofsordnungen aber vielleicht auch zugänglicher gemacht werden für eigenwillige Vorstellungen der Grabgestaltung.

Ein Garten en miniature

Die Idee, das Grab als einen Garten zu betreuen, macht die Pflege erfreulicher. Naturgemäß handelt es sich um einen sehr kleinen Garten, was einerseits die Arbeit reduziert, andererseits aber auch besondere Herausforderungen mit sich bringt. Damit, der Persönlichkeit des verstorbenen Menschen in all seinen Facetten gerecht zu werden, wird sich allerdings jeder Garten, egal welcher Größe, schwer tun. Insofern ist das kleine Format kein Problem. Die Überschaubarkeit zwingt aber unbedingt zur Konzentration auf wenige Sorten. Viele Pflanzen einer Art lassen optisch eine größere Fläche entstehen. Außerdem müssen sie langsam wachsen und dürfen nicht zu groß werden. Wer sich entschließt, das Grab als Beet der Erinnerung zu sehen, als einen Garten en miniature, ist von nun an frei von Konventionen der Gestaltung und geht vor wie bei jeder anderen Gartenplanung auch. Erst gilt es zu klären, ob das Beet geometrisch oder naturnah angelegt werden soll, dann kann die Pflanzenauswahl entsprechend getroffen werden: Frauenmantel, Lavendel, Glockenblumen auch Gräser oder Farne, Porzellanblümchen, Teppich-Thymian, die Vanilleblume oder Strauchmageritten, Rosen und und und. Ganz wie es beliebt.

Das Grab sollte auch dem, der es pflegt, gefallen

Wie bei jedem Beet kommt es letztlich auf die Gegebenheiten des Standortes an, die die Auswahl der Pflanzen bestimmen. Schatten oder Sonne, feucht oder trocken, lehmige oder sandige Erde? Natürlich spielt auch eine Rolle, wie viel Zeit ich investieren kann und möchte und es ist nicht verkehrt, Elemente der klassischen Friedhofsgärtnerei im Hinterkopf zu haben. Ein Grabbeet kann man sich als Bild vorstellen, das immer durch einen ansprechenden Rahmen an Attraktivität gewinnt. Die Rahmenbepflanzung, geeignet sind Stauden, Gehölze und Gräser, sollte in den Proportionen zu Grab- und Grabstein stehen. Sinnvoll sind außerdem Partien mit immergrünen Bodendeckern und Platz für eine einjährige Wechselbepflanzung. Hier können auch Blumenzwiebeln, Tulpen, Hyazinthen und Narzissen im Herbst gesetzt werden, um das Frühjahr freundlich zu begrüßen. Manche typische Friedhofsblumen wie Begonien im Sommer oder Alpenveilchen im Herbst sind besser als ihr Ruf. Sie brauchen nur die richtigen Begleiter, um ihnen das Friedhofsmäßige zu nehmen. Der Rat des Fachmanns kann gerade bei der Neuanlage hilfreich sein. Weil Grabgärten klein sind, sind aber auch Fehler ohne großen Aufwand zu beheben, Experimente verlangen also keinen großen Mut. Allerdings, bei aller Rücksicht auf die Toten: Es ist schon hilfreich, wenn das Grabbeet auch demjenigen, der es pflegt, entspricht. Dem Toten zuliebe einen Zen-Garten auf dem Grab zu gestalten, wenn man selber Bauernblumen liebt, ist eine Herausforderung, der man sich nicht stellen muss. Niemand verlangt an diesem Ort im übrigen Gartenkunst. Es geht um die Anwesenheit als Zeichen liebevoller Verbundenheit über den Tod hinaus. Wer sich aber dazu entscheidet, die Grabpflege als Gartenpflege zu betrachten, kann eine bis dahin unbekannte Leidenschaft zum Gärtnern bei sich entfachen. Es wird dabei nicht ausbleiben, den Kreislauf der Natur, das Werden und Vergehen, als Trost zu erleben.