Einrichten: Farb Revival

Schokoladen-, Kaffee- oder Zimttöne, Karamell, Walnuss oder sandiges Beige: Trend setzende Hersteller, wie Arper, B & B Italia, Flexform Vitra oder Zanotta, setzen auf warme Farben. Inneneinrichter und Designer lieben sie gerade und gesellen dazu in schräger Harmonie Senfgelb, Türkis, Aubergine und Terrakotta-Abstufungen bis hin zum müden Rosé. Alles Töne, die Erinnerungen an die sechziger bis siebziger Jahre, an Käsepilze, den Römertopf und Herrenzimmer wecken. Die niederländische Trendforscherin Lee Edelkoort prognostiziert für die Jahre 2020 bis 2021 „Brown is the new grey“. Sie geht unbefangen mit einem Farbton um, der viele von uns zusammenzucken lässt. Zuviel Braun macht Angst, weckt mehr als ungute Erinnerungen. Edelkoort aber denkt an das kräftige Braun von Gartenerde, in der viele gerade gerne buddeln, sich im wahrsten Sinne des Wortes erden. Die Hinwendung zu Farben, die in der Mode zuletzt in den 1970er Jahren aktuell waren, erklärt sie mit gesellschaftlicher Melancholie, Nostalgie, aber auch einem milden Optimismus. Sie deutet den Trend als Zeichen eines Bedürfnisses nach Nachhaltigkeit und Lebendigkeit gerade der jungen Generation. Als Übermutter und weltweit berühmtestes Mitglied unter den Trendoraklern hat ihre Ansage Einfluss auf das, was uns in der näheren Zukunft angeboten wird. Ihr Wort ist gewichtig und so etwas wie eine sich selbst erfüllende Prophezeiung. Da in unserer schönen, neuen Lifestyle-Welt alles mit allem zusammenhängt und kommuniziert, ist es also kein Wunder, dass Mode – und Möbeldesigner genauso wie Inneneinrichter genau diese Farbwelt propagieren, die für die Älteren unter uns total retro ist, den Jungen dafür ziemlich neu erscheint. Der Designer Sebastian Herkner bestätigt den Trend zu erdigen Tönen, findet ihn aber nicht unbedingt retro. Das könnte seiner Jugend geschuldet sein. Herkner ist Jahrgang 1981 und schon ein ganz Großer in seinem Fach. 2011 hat er bereits den Designpreis der Bundesrepublik Deutschland bekommen, 2019 ist er Designer des Jahres der Pariser Möbelmesse Maison et Objet. Seinem „Stuhl 118“ für Thonet hat Herkner gerade einen neuen Anstrich verpasst, hochglänzend, unter anderem in dunklem Braun-Violett und einem antiken Pink. Die neue Hochglanzlackierung gibt dem Möbel, das schon wie ein Klassiker wirkt, sozusagen ein Facelift. Es wirkt jung, frisch und strahlt doch noch diese gerade richtige Prise Nostalgie aus. Auch das Berliner Architekturbüro bfs design von Stefan Flachsbarth und Michael Schultz setzt zur Zeit auf Hochglanz und auf Altrosa, den Farbton „Dead Salmon“ im speziellen. Die Entwürfe und Einrichtungen der beiden werden regelmäßig in Interiormagazinen wie AD veröffentlicht. Ihre Klienten, darunter erfolgreiche Startuper oder Galeristen, sehen das als Beweis, geschmacklich auf der richtigen Seite zu stehen. „Dead Salmon“ ist ein gedecktes Lachsrosa von Farrow & Balls, das erstmals nicht in den 70ern, sondern bereits 1805 für ein vornehmes englisches Landhaus eingesetzt wurde. Den schon frisch aus der Büchse leicht gealtert wirkenden, samtigen Farbton hat bfs design zum Beispiel für ein Projekt als Wandfarbe verwendet; die Decke dazu wurde hochglänzend hellgrau gestrichen. „Ich kann mich noch genau an die bodenlangen Samtröcke meiner Mutter in den 70ern erinnern. Auch für Kissen und Polsterungen ist ja Samt gerade wieder ein großes Thema“, sagt Stephan Flachsbarth. „Die Kombination von Dead Salmon mit dem hochglänzenden, hellen Grau gibt dem Raum eine gewisse Coolness und macht ihn heutig.“ Dead Salmon in Kombination auch mit Ocker, Terrakotta oder Kaffeebraun ist retro und modern zugleich. Selbst dann, wenn die Möbel neu und modern sind. Sebastian Herkners auch dieses Jahr vorgestellter Stuhl Ona für Freifrau etwa hat 50ies Charme, ganz besonders wenn er mit türkisem Samt gepolstert ist.

Moderne Möbel spielen mit alten Farben und neuen Formen. So wecken sie Erinnerungen und sorgen für Behaglichkeit.

 

Der Designer Werner Aisslinger, Jahrgang 1964, ist schon lange sehr erfolgreich. Sein Juli Chair wurde 1996 als erstes Stuhldesign seit 1964 vom Museum of Modern Art ausgezeichnet und in die ständige Sammlung aufgenommen. Zu Aisslingers Kunden gehören, um nur einige zu nennen, Dedon, Interlübke und Vitra. Er ist ein Star Designer und kennt sich damit aus, wohnliche Atmosphären zu kreieren. Das Studio Aisslinger hat unter anderem die Ausstattung des 25-hour Hotels in Köln, Berlin und Zürich Langstrasse konzipiert und damit die Designsprache der Kette formuliert. Die Arbeit an vielen Projekten beginnt mit Farb- und Materialkonzepten. Werner Aisslinger versteht sich als „Stil DJ“. Beim Einrichten seiner diversen Projekte geht es ihm darum, eine geschickte Melange zu finden. Dabei allein auf den Retro-Knopf zu drücken, ist ihm ein bisschen zu simpel. „Das funktioniert natürlich. Wenn ich ein braunes Ledersofa mit Patina in einen Raum stelle, entsteht sofort dieser Gelebtes-Leben-Effekt“. Aisslinger will aber mehr. Er versteht seine Wohn-, Hotel- oder Restauranträume als Collagen, die Geschichten erzählen. Die individuelle und persönliche Atmosphäre auch einer Hotellobby entsteht bei ihm durch den Mix verschiedenster Stile und Zeiten. Wie ein DJ im Club Musik, mischt er aus vielen „Wohn-Sounds“ einen eigenen neuen. Und dabei treibt es Aisslinger gerne bunt. Nicht unbedingt schrill, aber schon ziemlich farbig. Aisslingers Wohncollagen sind mit dem Begriff retro nicht richtig beschrieben. Vielleicht sind sie einfach zeitgemäß wie auch die Projekte von Sebastian Herkner oder bfs design. Weder Hose noch Stuhl lassen sich neu erfinden. In gewisser Weise ist heute jedes neue Möbel eine Variante oder Neuinterpretation des schon Dagewesenen – selbst das, was futuristisch sein möchte. Moderne Einrichtungen erzählen von Gestern und auch von Morgen: Sie sind „Neo-Retro“. Wir leben in Zeiten umstürzender Veränderungen. Sich mit Dingen zu umgeben, die Vertrauen schaffen, gibt Kraft, sich ihnen zu stellen.