Kunst am Nagel

Offensichtlich künstliche, aufgeklebte, überlange Nägel in Kreischfarben sind der Dame von Welt ein Gräuel. Sie trägt „french manicure“, erlaubt ist bestenfalls ein zartes Rosé in Kombination mit den charakteristischen weißen Nagelspitzen. Wer nicht oldfashioned wirken möchte, kann die Nagelfrage aber längst nicht mehr so leicht lösen. Im Herbst bekam Supermodel Karlie Kloss als Gast der Schau der chinesischen Designerin Shiatzy Chen zum Beispiel die erwünschte Aufmerksamkeit auch deswegen, weil sie schon den Nageltrend Sommer 2017 trug: oval geformte Nägel mit Goldstaub auf den Spitzen.Lackfarbe und Nagelform sind zumindest für modeaffine Damen – und manche Herren – ein sensibles Thema. Zum Beispiel Johnny Depp oder Snoop Dogg werden ja auch immer mal wieder mit lackierten Nägeln gesichtet.

Der Lack ‚505 Particulière‘, löste eine Hysterie unter Fashionistas aus

Die ersten Nagellacke gab es in den 1920er Jahren. Die Autoindustrie boomte, die Karosserien mussten lackiert werden. Nagellack ist ein Nebeneffekt der Entwicklung des Autolacks. Stars wie Rita Hayworth, Jean Harlow oder Gloria Swanson machten den Nagellack in der 30ern weltweit populär. Dunkelrot lackierte Nägel waren nun nicht mehr anstößig, sondern glamourös. 1994 war dann schließlich eine Nagellackfarbe sogar weltweit ausverkauft, weil ein Filmstar sie vorführte. Uma Thurman trug in Pulp Fiction ‚Rouge Noir‘ von Chanel. Damit begann wohl der Hype um den richtigen Nagellack, den wir jetzt erleben. Auf Instagram hat alleine der Hashtag ‚nailsartclips‘ 3,7 Millionen Follower.

 

 

Immer wieder sind Farbtöne so trendy, dass sie nur kurze Zeit erhältlich sind, manche werden dann sogar zu hohen Preisen im Internet versteigert. Ein Grau-beige-Ton, ebenfalls von Chanel, genannt ‚505 Particulière‘, löste zum Beispiel Anfang 2010 geradezu eine Hysterie unter Fashionistas aus. Wer ihn trug, gehörte zur In-Crowd. Neben den Farben, die die Beauty-Linien der großen Modehäuser herausbringen, gibt es zahlreiche Nagellackhersteller, die sich an Farbvielfalt, Auftragequalität und Haltbarkeit überbieten. OPI, Butter, Anny oder Essie und viele andere mehr. Die Zusammenarbeit mit Prominenten und Designern, die die Farben mitbestimmen, gilt als verkaufsfördernd. Von OPI gibt es eine Farbrange von Kim Kardashian. Butter London arbeitet bei der Entwicklung der neuen In-Töne mit Designern wie Alexander Wang, Victoria Beckham, oder Issa zusammen. Aus Berlin kommt eine Nagellackserie von Uslu Airlines. Jeder Lack hat den Namen eines Flughafens. THF Berlin Tempelhof schimmert grau und eisig, mit IBZ Ibiza lackierte Nägel strahlen in sonnigem Orange. Die meisten Hersteller bieten auch Zusatzprodukte an, mit denen sich die Nägel pflegen lassen. Mit Lack lässt sich Kasse machen.

Der Fingernagel als Kunstobjekt

Bei Modenschauen wird der Maniküre viel Zeit gewidmet. Nicht nur Haarstylisten und Visagisten verpassen den Mädchen den Frisuren-, bzw. Make-up-Look der Saison, auch der Gestaltung der Nägel wird große Aufmerksamkeit geschenkt. Dafür werden eigens Nail Artists engagiert. Besonderes Aufsehen erregten bei den Schauen für die nächste Saison die langen, roten, mit Strass besetzten Krallen der Balenciaga-Models. Die Nageldesignerin Mei Kawajir, eine Japanerin mit Sitz in New York, hatte sie kreiert. Ihre Website ‚Nails by Mei‘ wirkt wie die Repräsentanz einer Künstlerin. Mit dem Berufsbild einer Maniküre hat ihre Arbeit nichts zu tun. Und mit den aufgeklebten Herzchen, Sternchen und Nageltattoos, die einem manchmal einen Schrecken einjagen, auch nichts. Bei Mei Kawajir ist jeder Nagel Handarbeit. Das sind – zugegeben – Luxusprobleme, aber hier wird der Fingernagel tatsächlich zum Kunstobjekt.
So schnell wie die Mädchen an den Gästen der Shows normalerweise vorbeilaufen, wird der aktuelle Trend vermutlich von vielen Besuchern gar nicht wahrgenommen. Gut, dass immer genug Fotografen mit dabei sind, die jedem Accessoire, jedem Brauenschwung und eben auch der neuesten Nagelfarbe Aufmerksamkeit widmen, um die Bilder dann zum Beispiel eben auf Instagram zu posten.
Extrem gestaltete Nägel wie bei Balenciaga sind tatsächlich ein Trend. Auch bei anderen Schauen, etwa Kenzo oder Giamba, gab es Nägel mit Applikationen oder grafischen Designs. Immer mal wieder sah man auch spitze Krallen oder ovale Formen, aber das Gros der Designer beschränkte sich als Extravaganz dann doch auf aparte Farben wie ein schlammiges Grün. Die meisten Nägel waren rundgeschnitten und vergleichsweise kurz. Für ein Leben abseits der Laufstege oder des roten Teppichs wäre das auch zu empfehlen. Bei den Fingernägeln ist oberstes Gebot, dass sie gepflegt aussehen. Milchige Nudetöne sind da zum Beispiel bestens geeignet und auch absolut up to date. Roter Nagellack, sowieso ein Evergreen, wird 2017 nochmal ganz besonders auf Hochglanz poliert. Schwarze Nägel, inzwischen auch Klassiker, werden noch ein bisschen schwärzer. ‚Noir over Noir‘ heißt jedenfalls der Lack Nr. 73, den Yves Saint Laurent anbietet. Ansonsten herrscht, wie momentan so oft in der Mode, die freie Auswahl. Passend zur Garderobe finden sich alle Farben des Regenbogens.