Reiche und Superreiche kaufen weiterhin Marmorküchen, bewerben Luxustaschen und leasen Privatjets. Das Geschäft mit Luxusgütern boomt trotz Krise – oder gerade deswegen?
Der Text erschien zuerst im ZEITmagazin ONLINE
VICs, also Very Important Clients, sind Kundinnen und Kunden, die ein großes, mitunter unbegrenztes Budget zur Verfügung haben. Zwischen New York und Paris zücken sie ihre schwarze Amex Centurion- oder vielleicht die Mastercard World Elite Card, die nur ausgewählte Personen mit hohen Umsätzen erhalten. Chanel plant für solche VICs gerade Privatboutiquen, in denen sie auf diskrete, geschützte Weise bedient werden. Bislang war das nur in den sogenannten „salons privés“ in abgegrenzten Bereichen besonderer Geschäfte in Paris, London und Beijing möglich. Es geht immer noch einen bisschen exklusiver. Weniger solvente Kundinnen müssen vor Chanel auch schon mal in der Schlange stehen. Die Geschäfte laufen gut. Für das Jahr 2021 weist Chanel in seinem Report vom Mai 2022 einen weltweiten Umsatz von rund 15,6 Milliarden Dollar aus. Im Vergleich zu 2020 hat er sich um rund 50 Prozent gesteigert (auf vergleichbarer Basis zu konstanten Wechselkursen) und erreichte trotz Corona in allen Produktkategorien – von Mode über Accessoires bis hin zu Beauty – Rekordhöhen. Auch 2022 erwartet Chanel Global Chief Financial Officer Philippe Blondiaux hervorragende Ergebnisse. Für die erfreulichen Zahlen sorgen Menschen mit gutem Einkommen oder hohen Vermögen, die sich weder von Energiepreisen noch weltweiten Krisen die Kauflaune verderben lassen. Ihre Einkäufe lassen sie sich womöglich direkt in den Privatjet liefern. Wer zwängt sich schon gerne in die engen Reihen eines normalen Linienfliegers?
Privatjetmaklerunternehmen wie Chapman Freeborn bestätigen die erhöhte Nachfrage sowohl von Privat- als auch von Geschäftskunden nach Flugzeugen für ihre Trips.
Prassen in der Krise
Dass Luxus boomt, zeigen auch die Zahlen des französischen Luxusunternehmens Kering, zu dem Marken wie Gucci, Yves Saint Laurent, Bottega Veneta, Balenciaga und Brioni gehören. Kerings Umsatzerlöse lagen laut Halbjahresbericht 2022 im ersten Halbjahr dieses Jahres um rund zwei Milliarden Dollar höher als im ersten Halbjahr 2021. Das ist eine Steigerung von 23 Prozent, auf vergleichbarer Basis der konstanten Wechselkurse sind es 16 Prozent. Auch LVHM, mit Dior, Louis Vuitton und über 70 weiteren Marken Branchenführer der Luxusgüterindustrie erzielt im gleichen Zeitraum ebenfalls erhebliche Umsatzzuwächse.
Wer sind diese Menschen, die mitten in der Krise Geld verprassen – und warum tun sie das gerade jetzt? Hans-Georg Häusel ist Psychologe und Autor erfolgreicher Bücher zu den Themen Konsumverhalten, Marketing und Hirnforschung. Er glaubt nicht, dass die aktuelle Krisenstimmung speziell zum großen Luxusboom beiträgt. Aber sie halten die Reichen und Superreichen eben auch nicht davon ab, im Privatjet zum Shoppen zu fliegen oder sich eine Luxusküche für eine Viertelmillion im Penthouse einbauen zu lassen. Zumal auch die Superreichen zu den Hochzeiten der Coronakrise kürzer treten mussten – und nun ihren Lebensstil wieder aufnehmen. „Durch Corona waren zum Beispiel Städtereisen eine Zeit lang nicht möglich. Zu einem Trip nach Paris, New York oder München gehört Shopping. Das ist jetzt wieder möglich.“ Und so werde es auch wieder ausgelebt.
Suiten sind ausgebucht, die Küche kostet so viel wie ein Wohnung
Florian Steinmaier, aktuell General Manager des zur Rocco Forte Gruppe gehörenden Fünf-Sterne-Superiorhotels „The Charles“ in München, hat langjährige Erfahrung in der Luxushotellerie. Er bestätigt die Einschätzung von Hans-Georg Häusel: „Seit einiger Zeit sind gerade die Deluxe Zimmer und Suiten gefragt. Es reisen auch vermehrt ganze Familien an, die sich etwas gönnen. Das sind nicht unbedingt Superreiche, sondern zum Beispiel Besitzer von großen Handwerksbetrieben.“ Früher konnte das Hotel seinen Gästen auch mal ein Upgrade anbieten, heute ist das selten möglich. Es sind einfach keine Zimmer frei. „Wir denken darüber nach, das Angebot an Suiten und exklusiv ausgestatteten großen Zimmern zu erweitern“, sagt Steinmaier. „Bei manch einem Reisenden mag die Krisenstimmung eine Rolle spielen, es sich gerade jetzt noch mal gut gehen zu lassen, aber sie ist nicht der ausschlaggebende Grund.“ Eher ist es der Nachholbedarf nach Corona, die Freude daran, wieder unbeschwert reisen zu können. Auch in der Gastronomie werde nicht gespart, berichtet der General Manager. Hummer sei gefragter denn je, bestimmte namhafte Champagner seien ausverkauft: „In solchen Fällen kooperieren wir mit unseren Partnerhotels, die vielleicht noch Bestände haben.”
Auffällig am aktuellen Luxusboom ist, dass er sich nicht auf ein bestimmtes Segment beschränkt. Der Architekt und Interior-Designer Stefan Flachsbarth vom Berliner Büro bfs-design hat von einer möglichen Krisenstimmung unter seinen Kundinnen und Kunden auch noch nichts mitbekommen. Es sind Selfmade-Millionäre, Erbinnen oder erfolgreiche Geschäftsfrauen, die bei ihm 100.000 Euro für Terrassenmobiliar ausgeben oder ihn nach Italien in die Steinbrüchen von Carrara schicken, um den Marmor mit der perfekten Maserung für ihre Küchenzeile oder ihr Bad auswählen zu lassen. „Es gibt diese Klientel und man sollte nicht geringschätzen, dass sie mit ihrem Geld auch traditionelles Handwerk wie Steinmetze oder Stuckateure bezahlt. Sie schaffen und erhalten Arbeitsplätze“, sagt Flachsbarth. Als entschiedener Verteidiger des Luxus ist er nicht allein. Öfter wird Luxuskonsum allerdings mit moralischem Unterton geringschätzt. Schon der Philosoph Jean-Jacques Rousseau befand im 18. Jahrhundert, Luxus und schlechter Geschmack seien unzertrennlich: „Überall, wo der Geschmack kostspielig ist, ist er verdorben.“
Ist Luxus immer Protz?
Der Philosoph Lambert Wiesing, Professor an der Friedrich-Schiller-Universität Jena, würde Rousseau nicht zustimmen. In seinem 2015 erschienenen Buch „Luxus“ hat er sich mit der scheinbar einfachen Frage auseinandergesetzt, ab wann genau etwas Luxus ist. Für Wiesing verlangt Luxus, im Gegensatz zu Protz, Kennerschaft: „Es geht bei Luxus um Erfahrungen mit etwas, das größten, sogar übertriebenen Aufwand verlangt.“ Luxus entsteht für ihn durch „eine Autonomieerfahrung im Besitz mit Dingen“: Der Kunde muss verstehen, mit wie viel handwerklichem Geschick sein Anzug in der Savile Row genäht wurde – auch wenn man ihm die handgestochenen Knopflöcher nicht auf den ersten Blick ansieht. Luxus sei das Wissen, mit wie vielen Knoten ein Teppich gewebt wurde – und auch die Emanzipation von den Zwängen der Vernunft und des rein Zweckmäßigen, dem Effizienzgedanken, der den Alltag so vieler Menschen prägt. Um Protz und Prestige gehe es dagegen, wenn teure Dinge gekauft werden, nur um ostentativ sozialen Status zu demonstrieren. „Die Grenzen zwischen Protz und Luxus sind fließend“, erklärt er. Die in Leder gebundene Goethe-Gesamtausgabe könne die luxuriöse Liebhaberei eines Kenners sein, aber auch Angeberei. Es komme ganz darauf an. Wiesing warnt vor schnellen Bewertungen. „Man kann nicht sofort erkennen, weshalb ein Mensch etwas kauft, trägt oder fährt. Ein SUV zum Beispiel ist bei allem, was sich gegen ihn sagen lässt, doch ohne Frage das sicherste Auto.“ Pauschal zu unterstellen, dass er nur aus Prestigegründen gefahren werde, findet Wiesing mindestens vorschnell.
Für die Influencerin Sissi Pohle ist Luxus ein Businessmodell. Sie modelte schon mit 14 und war 2012 unter den Kandidatinnen der Castingshow „Das perfekte Model“ mit Eva Padberg und Karolína Kurková. Sie und ihr Partner Pat Scherzer werden als Influencer regelmäßig zu Schauen von Hermes, Chanel oder Marni eingeladen. Mit vielen dieser luxuriösen Marken haben sie Kooperationen. Pohle hat mehr als 40.000 Follower, Scherzer knapp 25.000. Sie halten keine teuren Taschen in die Kamera, sondern bieten ein Lifestyle-Gesamtpaket. Von Berlin sind sie gerade in ein Haus auf dem Land in Bayern gezogen. Von dort präsentieren sie eine coole Shabby-Chic-Idylle in Vintage-Klamotten, in die sich immer wieder High-Fashion mischt. Ist ihr Lebens- und Businessmodell zeitgemäß, sendet es die richtigen Signale, wenn sich ein Großteil der Bevölkerung gerade fragt, wie er die Gasrechnung im Winter bezahlen kann? Darauf angesprochen, antwortet Sissi Pohle mit ihrer Definition von Luxus: „Luxus ist für mich das besondere Einzelstück, das ich irgendwo gefunden habe und welches vermutlich auch so nicht noch ein zweites Mal so existiert. Natürlich ist Luxus auch, dass wir das Glück haben, dass unser Business funktioniert und wir uns um unsere Existenz keine Sorgen machen müssen.“ In ihren Posts bleibt sie bewusst unpolitisch. „Das heißt nicht, dass wir im Freundeskreis nicht auch die Lage der Welt diskutieren und uns damit auseinandersetzen. Wir nutzen das Tool Instagram einfach nur nicht für diese Art von Debatten.”
In Seidenkissen weint es sich besser
Ein Ende des Luxuslebens in der Krise ist nicht in Sicht, zumindest nicht für Lars Lehmann. Er ist Privatinvestor und gründet gerade mit seinem Geschäftspartner Marc Janssen ein Geschäft für exklusive Nischenparfüms im Berliner Bezirk Charlottenburg. Der teuerste Duft wird in der 15West Parfümerie um die 700 Euro kosten, die mittlere Preislage liegt bei etwa 180 Euro. „Es ist Liebhaberei, natürlich auch verbunden mit der Hoffnung, dass sich das Geld verzinst“, sagt er. Er will sich von den schlechten Nachrichten über die anziehende Inflation und den bevorstehenden Krisenwinter nicht in Panik versetzen lassen. „Jede Krise hat mal ein Ende. Die Welt geht nicht unter.“
Luxus ist das, was man selbst dafür hält. Wer es gewohnt ist, im Privatjet zu fliegen und von Bediensteten jeden Wunsch von den Augen abgelesen zu bekommen, erlebt das nicht als Luxus, sondern als Alltag. Das kann man als Normalsterblicher und -verdienender abgehoben finden. Aber man schaut sie sich doch auch gerne an, diese Welt, die so wenigen vorbehalten ist. Diverse Reality-TV-Formate geben Einblicke in das Leben von Superreichen, zu dem auch die Suche nach der immer größeren und luxuriöseren Immobilie gehört. Aktuell zeigt die Apple-Serie „Rich“ mit Maya Rudolph in der Hauptrolle als Scheidungsmilliardärin anschaulich, wie so ein Leben mit privatem Koch, Jet oder wahlweise Helikopter und boutiquengroßen Kleiderschränken aussieht. Genüsslich lassen sich Zuschauende sich vor Augen führen, dass auch ein solches Dasein nicht ohne Sorgen ist – und es sich höchstens ein bisschen komfortabler in Seidenkissen weint.