Es muss mit den Schmerzen zu tun gehabt haben, dass ich „ja“ sagte. Nach einer zarten Phase, in der mein Gesicht mit warmen Tüchern und angenehmen Emulsionen verwöhnt worden war, ging Tricia Pahl zum Angriff über, im Fachjargon „Ausreinigung“ gennant, und malträtierte meine T-Zone. Pore für Pore unterzog sie mit spitzen Fingern der Prozedur und liess mich zwischendurch immer mal wieder wissen, dass es für ein feines Hautbild durchaus nichts schadete, wenn ich mich wieder etwas regelmäßiger auf ihre Liege legen würde. Als der Schmerz gerade nachließ und ich entspannte, nutzte sie geschickt die Gelegenheit und sagte: „Wie schade, dass Deine Wimpern jetzt so grau geworden sind. Deine schönen blauen Augen müssten nicht so müde aussehen.“ Meine Wimpern grau, die Augen müde? Das saß! Ich gehöre nämlich genau in die Kategorie Mann, die besonders empfänglich ist für Aufhübschungen ihrer Person. Das sind Typen, so um die 50, mit Anzeichen von Midlifecrisis, die sich selbst wie „gerade 40 geworden“ fühlen, denen im Spiegel aber ein altwerdender Mann entgegen schaut. Wenn im Job die Jungen nachdrängen und Partnerin oder Partner sich schon mal nach etwas knackigerem umsehen, dann sagt man schon mal „ja“ und lässt sich die blassen Wimpern färben, vor allem weil Tricia Pahl sicher ist, dass die „schönen blauen Augen“ anschliessend nicht mehr so „müde wirken“. Männer und Kosmetik, ein schwieriges Verhältnis. Die Brasilianerin, ein Star in ihrem Fach, weiß das.
Hollywoodprominenz, Models, deutsche Fernsehstars, Sportler und hochkarätige Businessmen vertrauen Tricias Kompetenz und Diskretion. Bei den männlichen Kunden gibt es zwei Altersgruppen, die besonders oft bei ihr anklopfen. Junge Männer zwischen 18 und 28 und dann die sogenannten reiferen um die 50. Bei den ersten geht es darum, die Haut ins Gleichgewicht zu bringen, die anderen möchten die Zeit aufhalten. Immer mehr jüngere Männer haben allerdings auch den Verdacht, dass Falten und gegerbte Haut nicht zwingend attraktiver machen. 31 Prozent der 18 und 34 jährigen nutzen mindestens gelegentlich Anti Aging Produkte. Bei den 55 bis 65jährigen sind es knapp 26 Prozent.
Männer und Kosmetik: Sie wollen, dass es es prickelt!
Ob es mehr darum geht, im Job jung und unverbraucht auszusehen oder der Partnerin zu gefallen, ist nicht ganz klar. Beides spielt wohl eine große Rolle. Männer und Kosmetik sind jedenfalls längst keine Gegensätze mehr. 2010 haben 4,17 Millionen Männer täglich eine Gesichtscreme benutzt, 2014 waren schon 5,6 Millionen Männer täglich mit der Pflege ihrer Gesichtshaut beschäftigt. Gepflegtes Aussehen ist laut einer Studie von TNS Infratest (basierend auf einer repräsentativen Online-Befragung von 500 Frauen und 500 Männern) fast allen Männern wichtig. Die tägliche Dusche und ein Deo gehören zu den Basics, die Männer heute selbstverständlich finden. Viele wollen aber deutlich mehr und gehen deshalb auch in einen Kosmetiksalon wie den von Tricia Pahl. Von Kosmetik erwarten sie schnelle spürbare Wirkung. Männer wollen, dass es es prickelt und kühlt, es darf sogar ein bisschen wehtun, nur dann glauben sie, dass es hilft. Tricia kann das bestätigen. Der erste Beauty-Termin bei ihr ist nicht selten ein Geschenk, gerne auch mal zum runden Geburtstag. Etwas schüchtern legen sich die Herren auf die Liege. Wenn sie dann aber Hand angelegen kann, ist die Behandlung von Männern meist einfacher. Weshalb? „Frauen experimentieren zu viel und probieren zu viele unterschiedliche Produkte auch übereinander aus. Sie sind oft überpflegt, und die Haut kann gar nichts mehr annehmen“, lautet die Erklärung der Expertin. Der nur basic gepflegte Mann ist also ein idealer und hoffnungsvoller Beauty-Kandidat. Aus Erfahrung klug, rät die Schönheitsexpertin: Männern sollte man es nicht zu kompliziert machen. Reinigung, Peeling, Augenpflege, Emulsion für Feuchtigkeit und basta.
Sebastian, 24, weiss das zu schätzen. Er ist mit gerade 24 Jahren einer von Tricias jungen Kunden. Er spart regelrecht darauf, sich immer mal wieder eine Behandlung leisten zu können. Bei Tricia ist sie nämlich teuer, je nach Anwendungen so um 165 Euro. „Aber es lohnt sich“, sagt er. Auch wenn er die Pubertät längst überstanden hat, leidet er noch unter Unreinheiten und immer wieder Pickeln. „Nach der Behandlung habe ich eine ganze Weile Ruhe“. Für ihn gehört auch zu Hause Reinigung und Feuchtigkeitspflege der Gesichtshaut wie das Zähneputzen zur täglichen Routine. „Klar bin ich eitel, warum nicht?“ fragt er. Seine Mutter hat ihm den ersten Gutschein für eine Behandlung geschenkt. „Damit war ich quasi angefixt“. Er lacht. Die Jugendstudie des IKW zeigt, dass junge Männer alten Rollenbildern entwachsen. Sie entdecken ihren Emotionen. Gute Aussehen gehört zum Teil der Persönlichkeit, gepflegt fühlen sie sich wohler, nicht unmännlicher. Am Ende geht es, ob Jung, ob Alt, ob Frau, ob Mann, immer darum, das Hautbild zu verfeinern, Unreinheiten und Rötungen zu beseitigen, Falten wenigsten vorübergehend zu minimieren. Das manchmal mehr versprochen wird als machbar ist – der informierte Kunde ahnt, dass nicht alles möglich ist, was wünschenswert wäre. Man muss schon auch dran glauben sagt Sebastian. In seinem Bad steht noch kein „Anti-Fatigue Eye Treatment“ oder ein „Oil Control Mattifying Moisturizer“, wie ihn viele Hersteller anbieten. Mattieren übrigens ist ein zentrales Anliegen von Männern. Vor Glanz im Gesicht haben sie regelrecht Angst, vor Puder allerdings auch, bedauert Tricia Pahl. Dabei ließen sich mit ein wenig Puder zwei Probleme gleichzeitig lösen. Der Glanz wäre weg und die gesunde Hautfarbe da, die Männer so gerne haben und oft genug dem Solarium verdanken – wo doch jeder weiß, dass zu viel Sonne die Haut frühzeitig altern lässt. Aber, obwohl für Männer Puder und La Cage aux Folles nicht zwingend gleichbedeutend sind, tut sich das Gros der Männer mit jeglicher Art von dekorativer Kosmetik schwer. Selbst kleine Pickel mögen nur sechs Prozent abdecken. Die Sorge, unmännlich, wenn nicht tuntig zu wirken, ist bei den meisten offenbar noch größer als die Eitelkeit. Männer wollen also schnelle Effekte, sich aber in der Regel nicht der Kniffe bedienen, die Frauen fast im Handumdrehen aufblühen lassen. Noch!
Schnäuzer und getuschte Wimpern kein Widerspruch sind.
In coolen Cafés, Galerien oder Clubs sieht man inzwischen öfter junge Männer, die mit Kajal, Lippenstift und Nagellack ziemlich selbstverständlich umgehen und dabei gar nicht unmännlich wirken. Sie stellen vielmehr eine neue Art von Männlichkeit vor, in der Schnäuzer und getuschte Wimpern kein Widerspruch sind. Das mag den einen oder die andere vielleicht irritieren, lässt sich aber auch als Ausdruck besonders starken männlichen Selbstbewusstseins deuten. Von M.A.C gibt es übrigens schon seit 2015 eine Kollektion mit geschlechtsneutralen Kosmetikprodukten und von Catrice wurde Anfang diesen Jahres eine eine limited Edition „Genderless“ mit Trend-Produkten für ein Make-Up ohne Geschlechtergrenzen angeboten. Eine Onlinebefragung des Marktforschungsisitits Kantar TNS im Auftrag des VKE ergab ganz aktuell im April 2018, dass immerhin knapp 5 Prozent der befragten Männer gelegentlich Mascara verwenden und 4 Prozent gelegentlich einen Kajalstift nutzen. Immerhin 2 bis 3 Prozent der Männer würden im Falle einer Einladung zu einem spontanen Kurzurlaub „auf jeden Fall“ Lippenstift, Lidschatten, Rouge und Mascara einpacken. Die Frage nach sexueller Orientierung erscheint in diesem Zusammenhang als sehr old school, sehr 20. Jahrhundert. Wobei, wer an David Bowie denkt, merkt schnell, wirklich neu ist wenig. Und sogar ein Super-Macho wie Dieter Bohlen hat in seinen Modern Talking Jahren mindestens Berührung mit Lip Gloss gehabt. Männlichkeit liegt im Auge des Betrachters und selbstverständlich der Betrachterin. Männer und Kosmetik!? Fest steht, Berührungsängste schwinden. Männer greifen nicht mehr heimlich in den güldenen Cremetiegel der Partnerin, sondern wollen einen eigenen, eher chromfarben minimalistisch gestalteten. Um nochmal auf müde Augen und gefärbte Wimpern zurückzukommen. Tricia hat ein zurückhaltendes Braun gewählt, kein Kohleschwarz, und der Effekt ist beachtlich. Niemands hat’s bemerkt, aber ich fühle mich viel wacher. Was will Mann mehr?