Auf der Pitti Uomo, der größten Männermodemesse der Welt, treffen sich naturgemäß viele eitle Männer, die gesteigerten Wert darauf legen als modern zu gelten. Nicht zuletzt um zu erfahren, wie sich männliche Modernität aktuell in Kleidung ausdrückt, laufen sie durch die Pavillons auf dem Messegelände des Fortezza di Basso und schauen, was sich die Hersteller männlicher Mode für die nächste Saison ausgedacht haben. Wie sieht er also aus der zeitgemäße Mann? Um mit einem Extrem zu beginnen, in den Visionen der japanischen Kollektionen Undercover by Jun Takahashi und Takahiromiyashita The Soloist, deren Schauen die Pitti Uomo abschloss, ist der Mann ein „human error“, der seine Platz am besten auf einem anderen Planeten findet und/oder Überlebender eine Katastrophe globalen Ausmasses ist. In ihren direkt aufeinanderfolgen Schauen präsentierten magere, muskellose und sehr blasse junge Männer artifiziell wirkende Kleidungsstücke, bei denen die Grenzen zwischen Jacke, Mantel und Pullover, Hose, Rock und Strumpfhose verschwammen. Manches wirkte wie Schutzkleidung, die vielleicht die Strahlen des nächsten lecken Atomkraftwerks abhält. Womit die Japaner in jedem Fall einen männlich modischen Nerv treffen, ist die Technisierung ihrer Kleidungsstücke und deren Wechselwirkung mit der Natur – in dieser Fall einer augenscheinlich zerstörten. Auch wenn nicht ganz klar wurde, ob die Entwürfen tatsächlich funktional sind, ist die Spannung zwischen High Tech und und Natürlichkeit das Themenfeld, mit dem sich relevante ModemacherInnen gerade beschäftigen. Bei Undercover sah manche Jacke aus, als ob sie sich auch zu einem Zelt formen ließe. Moderne Kleidung bietet Schutz in einem umfassenderen Sinn.
Beaus mit Abenteuerlust: Männlich, modisch, mutig, sensibel
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In weniger avantgardistischen Kollektionen zeigt sich Natürlichkeit in grob gestrickter Wolle. Feinstrick ist definitiv kein Fashion Thema. Wolle, überhaupt jegliche Art Material, ist strukturiert, oft dreidimensional verarbeitet, dabei aber übrigens nicht zwingend so kratzig, wie man auf den ersten Blick vermuten möchte. Die Beimischung von Kaschmir wirkt Wunder. Und alles ist wunderbar leicht. Große Karos, Tweed, sehr breiter Cord sind anderer Möglichkeiten männlicher Kleidung Rustikalität zu geben, immer ohne Holzfäller Klischees zu bedienen. In Kombination dazu gehören High-Tech Stoffe. Wenn hochglänzende Kunstfasern auf grobe Wolle treffen, wirkt der Mann modern und zeitgemäß männlich. Die Farben, Flaschengrün, Orange, Violett, sind nicht feminin, aber ausdrucksvoller und vielleicht schmückender als Mann es gewöhnt sein mag. Die Z Zegna Kollektion – auf der Pitti Uomo präsentiert in einer alpinen Waldkulisse – steht beispielhaft, eigentlich sogar idealtypisch – für diesen zentralen Trend. Sport- und Outdoormode trifft auf klassische Herrenschneiderei. Die hellgrauen Techmerino Anzüge sind so ausgerüstet, dass sie auch in der Waschmaschine nicht ihre Form verlieren. In Kombination mit den leuchtenden Steppwesten sind sie die perfekte Kombi für den modernen Mann, auch wenn er gerade nicht in der Natur ist, sondern auf dem Weg ins Büro. Natürlich geht es nicht allein um Funktionalität, wenn Männer sich jetzt glänzende, überlange, wattierte Schals zum Wollanzug um den Hals werfen. In ihrem Mix von Tradition und technischer Innovation gibt die Mode Männern die Möglichkeit, sich als Beaus mit Abenteuerlust zu inszenieren. Männlich, modisch, mutig und sensibel. Einfach auf der Höhe der Zeit.
Überraschend gestrig präsentiert sich übrigens die neue Karl Lagerfeld Kollektion auf der Pitti Uomo. Lagerfelds langjähriger Assistent Sebastien Jondeau hat eigens für sie eine kleine Kollektion kuratiert, die Garderobe für jeden Anlass bieten soll. Vom Smoking für den roten Teppich mit dem Meister bis zum Freizeit Look. So phantasielos mittelmäßig wie das hier Gezeigte möchte wohl kein moderner Mann mehr aussehen. Lagerfeld, als Paradiesvogel mit Stehkragen bekannt, scheint für diese Kollektion keine großen Ambitionen zu haben. Oder sie ist ihm einfach egal. Aber warum gibt es sie dann?