Mode-müde

Ein Trend war mal etwas, das man als zeitgemäß, für den Moment richtig, erkannte – ein gesellschaftliches Phänomen.

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Perret Schaad, Winter 2016

Einem Trend zu folgen konnte bedeuten, Position zu beziehen, etwa für Emanzipation oder sexuelle Freiheit. Mode war also ein Kommentar zur Zeit, heute soll sie nur noch Ausdruck der Persönlichkeit sein. Sich „richtig“ modisch anzuziehen ist zum Selbstfindungsprojekt geworden. Kleider machen mehr denn je Leute, die Mode an sich läuft dabei Gefahr, bedeutungslos zu werden.

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Bally, Winter 2016

Parallel zu der Bedeutsamkeit, mit der die Zusammenstellung von Kleidungsstücken von Designern und Modemagazinen zum Spiegelbild der Seele stilisiert wird, verlagern sich bei immer mehr im Grunde modeaffinen Menschen die Prioritäten. Sie sind der Mode müde. Sie interessieren sich nicht mehr für Mode, sondern für einzelne Kleidungsstücke.

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Veronique Branquinho, Sommer 2016
Foto: Shoji-Fujii

Die sind am besten komfortabel, kleidsam, von guter Qualität, kombinierbar und über eine Saison hinaus tragbar. Auch der Gedanke der Nachhaltigkeit, von der Herstellung bis zur Aufenthaltsdauer im Kleiderschrank, spielt eine immer größere Rolle. Kleider sollen in der Regel nicht aufsehenerregend sein, sondern durch den Tag begleiten, am besten auch durch die Jahreszeiten.

 

Mode könnte sogar wieder Orientierungshilfe geben

 

Fashionistas wie etwa Anna de Russo und saisonal wechselnde It-Girls wirken aus dieser Perspektive in ihrem Bedürfnis nach Selbstdarstellung traurig und ein bisschen altbacken. Die Trendforscherin Li Edelkoort hat das System Mode bereits für tot erklärt, Jean Paul Gaultier, Viktor & Rolf oder Raf Simons sind vom sich immer schneller drehenden Karussell abgesprungen. Neue Konzepte sind gefragt, um der Mode Relevanz zurückzugeben. Längen, Hosenweiten oder Silhouetten spielen dabei eine untergeordnete Rolle. Andere Fragen sind zentral. Kann ich vielleicht meine ausgemusterten Kleider zurückbringen, auf dass sie wieder in den Kreislauf zurückkehren, recycelt werden? Ist mein altes Kleid einmal Teil eines, meines, neuen? Kann ich Sachen reparieren lassen? Erinnern mich Bruchstellen, Flicken oder Nähte an Erlebnisse? Kann ich meine Kleider tauschen, neu kombinieren, eine Weile liegen lassen und wiederentdecken? Und auch Unsichtbares spielt eine Rolle. Zu wissen, dass für die Kleider an meinem Leib weder Mensch noch Naur leiden mussten, gibt ihnen, ganz unabhängig vom Design, eine besondere Qualität. Wie viel Wasser, wie viel Energie wurde verbraucht, in welchem Umfeld habe ich eingekauft? Brauche ich überhaupt immer ein eigenes Kleid? Gibt es Möglichkeiten zu tauschen, zu leihen? Nicht das ständig Neue, sondern das Innovative ist von Interesse. So heterogen wie unser Leben ist, so vielfältig die Lebensentwürfe sind, Trendsetter, um den Begriff zu wagen, kann nur sein, wer Mode nicht als Chance zu Selbstbefriedigung sieht, sondern, ganz im Gegenteil, als Aufruf zur Achtsamkeit mit sich und anderen. In diesem Sinne könnte „Mode“ dann sogar wieder Orientierungshilfe geben, das Leben einfacher machen, weil man sich nach ihr richten kann. Sie wäre nicht müde Nabelschau. Sie würde wach und neugierig machen, weil sie die Allgemeinheit im Blick hat, nach dem Verbindenden sucht, nicht nur nach dem Individuellen. Persönlichkeiten brauchen keine Mode, um sich darzustellen. Sie tragen sie aber eventuell gerne.