Paris Sommer 2019 – Genderfluid

Wer es auf den offiziellen Schauenkalender in Paris geschafft hat, ist in seiner Karriere schon mal einen Schritt weiter. Eine Position in dem streng getakteten Ablauf garantiert Aufmerksamkeit. Christa Bösch und Cosima Gadient ist das mit ihrem Label Ottolinger gelungen. Die Schweizerinnen haben es in Berlin gegründet. Berühmt wird man aber eben – wenn überhaupt – nur in Paris. Mit ihren Kleidern müssen sich die beiden dann aber auch einer großen Konkurrenz stellen. Am gleichen Tag wie das junge Label Ottolinger zeigt später Yves Saint Lauren, am Tag vorher ist schon Dior über den Laufsteg gegangen, es folgen noch Dries van Noten, Balmain, Balenciaga, am letzten Tag Chanel – verbindlich immer Dienstag, 10:30 Uhr. Am Ende des Sommer wurde für Chanel im Grand Palais diesmal eine Strand Kulisse aufgebaut, inclusive azurblauem Himmel. Wohl eine Reminiszenz an Deauville, einem Lieblingsort von Coco Chanel. Strohhüte und die naturfarbene Farbwelt der Kleider, Sandfarben, Zartblau oder Rosé wie der Sonnenuntergang, passten perfekt zum Thema. Chanel und die anderen klingende Namen machen Paris also zur ewigen Modehauptstadt. Zwischen den modischen Giganten bleiben aber auch attraktive Plätze für kleine, junge Labels wie eben Ottolinger aus Berlin. Manche Kleider der zwei Designerinnen werden nur knapp von Schnürrungen zusammengehalten, Brandlöcher, Risse und Bänder sind andere Merkmale ihrer dekonstruierten Entwürfe. Dass vieles unfertig, zufällig wirkt, macht Ottolingers Reiz aus, allerdings auch, dass Silhouetten und Schnitte dann doch genau kalkuliert sind und sitzen, wie sie sitzen sollen. Beyoncé übrigens ist schon Kundin der beiden Schweizer Berlinerinnen und hat für ihre Tour einen der typischen zerrissenen Jeans-Looks bestellt und getragen. Vor noch nicht so langer Zeit war auch das heute kulthaft verehrte Label „Off-White“ ein Newcomer. 2013 wurde es von Virgil Abloh gegründet. Der Kreativberater von Kanye West, und seit diesem Jahr auch künstlerischer Leiter der Herrenkollektion von Louis Vuitton, hat die Mode durch seinen Sport- und Streetstyle weltweit maßgeblich beeinflusst. Off White präsentierten in Paris nicht nur Supermodells wie Kendall Jenner oder Bella Hadid, sondern auch acht Goldmedaillengewinnerinnen, zum Beispiel die Leichtathletinnen English Gardner oder Katarina Johnson-Thompson. Der schwarze Tüll-Tütü für das US Open 2018, den Virgil Abloh für Serena Williams mit Nike kreiert hatte, beeinflusste auch die Sommerkollektion 2019. Eine Verbindung zwischen Sportswear und High Fashion, bei der Rüschen- und Cocktailkleider neben Trikots und Kapuzenjacken gezeigt wurden.

 


 

 

 

Celine und Yves Saint Laurent: Zwei Labels ein Look

 

Die wohl mit der größten Spannung erwartete Schau der Woche war allerdings die von Celine unter dem neuen Kreativdirektor Hedi Slimane. Der hatte erst bei Dior die Männermode mit seinen männlichen Magermodels in schmalgeschnittenen Anzügen verändert und dann Yves Saint Laurent mit seinem 80er Jahre Glamrock Chick wieder sexy gemacht. Celine, noch bis vor einer Saison ein eher minimalistisches, vielgeliebtes Label der gestandenen Frau, sieht jetzt aus wie Saint Laurent unter Slimane zwischen 2012 bis 2016. Allerdings schickt Slimane zum ersten Mal auch Celine Outfits für Jungs auf den Laufsteg, wie bei Dior in Size Zero und mit dem Hinweis, dass die schmalen Hosen, Hemden, Jacken auch gerne von Mädchen gekauft und getragen werden können. Ansonsten bietet ihnen die Kollektion, die eindeutig für die Generation Z, also die um die Jahrtausendwende Geborenen, gemacht wurde, vor allen Dingen superkurze Kleider oder Röckchen für die nächste Party. Da nun auch Anthony Vaccarello, Slimanes Nachfolger bei Yves Saint Laurent, dem Sexy-Hexy-Look seines Vorgängers treu geblieben ist, wird schon von einem Modekrieg zwischen den beiden prominenten Marken gesprochen.

 

 


 

 

Schnitt, Proportionen und Drapierungen unabhängig vom Geschlecht

 

Abgesehen vom Comeback der Sexyness in diesen Kollektionen ist Unisex oder vielmehr Androgynität das zentrale Thema zeitgemäßer Schauen. Bei Givenchy hatten die Frauen kurze Haarschnitte und trugen unter anderem Smokingjacken zu Armeehosen. Ein im Schnitt klassischer Anzug für den Mann bekam durch seine violette Farbe den angesagten Touch ins Androgyne. Bei Balenciaga trugen Männer und Frauen die gleichen Jacken und Hosen. Bei anderen Schauen war man sogar nicht ganz sicher, ob Männlein oder Weiblein die extraordinären Kleider vorführten. Viel gelobt wurde in diesem Zusammenhang die Kollektion von Maison Margiela. John Galliano bekam dort nach seinem Rauswurf bei Dior und einer kreativen Pause wieder eine Chance. Galliano ging es bei Margiela ausdrücklich darum, Schnitt, Proportionen und Drapierungen unabhängig vom Geschlecht auszuprobieren. Seine Inspiration sind die frühen 80er Jahre. Damals war er Modestudent und erlebte schon mal eine Zeit, die in vieler Hinsicht Grenzen überschritt. Man denke an Boy George oder Soft Cell, deren Song „Tainted Love“ in einem zeitgenössischen Mix die Begleitmusik der Schau war. Eine Art verlängerter Smokingmantel, hautenge türkisfarbene Leggings, Varianten von Cowboystiefeln oder ein Hybrid aus Poncho und Trenchcoat, die Margiela Kollektion war ein bemerkenswerter Versuch, Normen in Frage zu stellen. Auch bei Gucci – das Mailänder Label machte zum Entsetzen der Italiener einen Ausflug nach Paris – werden herkömmliche Vorstellungen von Männlichkeit und Weiblichkeit, letztendlich auch von Schönheit, vor den Kopf gestoßen. Mit seinem 70er Jahre Flohmarktlook, opulent, glitzernd, schrill, hat Designer Alessandro Michele die Modewelt ganz schön aufgeschreckt. Dass sich die eine Saison von der anderen kaum unterscheiden lässt, scheint keinen zu stören. „Ist ja alles so schön bunt hier“. Spitze Zungen sagen, dass die Gucci-Schau nicht in Mailand gezeigt wurde, bot die größte Abwechslung. Fazit der Modewochen? Zurückhaltung und Minimalismus sind momentan eher nicht so gefragt. Diverse Varianten von Cowboystiefeln gehören ohne Frage zu den Must Haves der Saison. Und die Frage „Wann ist ein Mann ein Mann“, beantwortet leider auch die Mode nicht abschließend.