Pelze – Eine Gewissensfrage

Letzte Chance zuzugreifen. Nach dem großzügig verarbeiteten beigefarbenen Nerz, der für den Winter 2017/18 über den Gucci-Laufsteg ging, wird wohl auf absehbare Zeit kein echter Pelzmantel mehr das feine Label Gucci im Inneren tragen. Online ist er für 32. 000 Euro mit einem Klick erhältlich. Die Rückseite des Mantels schmückt übrigens ein entzückender, orangefarbener Drache. Kürschner können auch Intarsien. Wenn ein derart gehyptes Modehaus wie Gucci seine Abkehr vom genauso luxuriösen wie anschmiegsamen Material verkündet, dann kann man schon von einer Trendwende sprechen. Da liegt was in der Luft. In der Mode entscheiden nämlich weder Vernunft noch guter Geschmack über in und out, sondern Emotionen und der vielbeschworene Zeitgeist. Wenn einer wie Guccis Chefdesigner Alessandro Michele jetzt also den Rückwärtsgang einlegt und sagt, Pelz ist uncool, dann sieht die Fashionista im Pelz tatsächlich sehr schnell sehr gestrig aus. Schließlich hat Michele die Mode in den letzten Saisons beeinflusst wie kein anderer. Sein eklektizistischer Stil, der Glam-Rock, königliche Roben und japanische Kimonos im wahrsten Sinne des Wortes unter einen Hut bringt, ist stilprägend geworden. Gerade frisch im Amt war er es übrigens auch, der die Modewelt im Winter 2015 davon überzeugte, es sei zwingend, offene Sandalen gefüttert mit Kängurupelz zu tragen

Pelztiere hinter Gittern

 

Tempi passati. Das Modekarussell dreht sich weiter, und nichts ist dabei wichtiger als die richtige „Attitude“. Und zu der gehört inzwischen erfreulicherweise wohl ein wenig Nachdenklichkeit. Auch die Yoox Net-A-Porter-Group (YNAP) hat sich jedenfalls unlängst dazu entschlossen, keine Pelze mehr auf ihren Online-Portalen anzubieten. Net-A-Porter, Mr Porter, Yoox oder The Outnet sind nun pelzfrei. Das ist doch was!
Vor allem, weil man in den letzten Jahren eher das Gefühl hatte, der Pelzlobby sei es erfolgreich gelungen, eventuell aufkommende Gewissensbisse durch ihre faszinierenden Pelzkreationen kuschelweich abzupuffern. Orange, Blau oder Gelb, geflochten, geschoren, gezupft oder im Patchwork verarbeitet, oft konnte man kaum kaum noch ausmachen, dass Tiere ihre Leben für die extraordinären Mäntel oder Jacken opfern mussten. Und wie viele Mützen, Kragen, Handtaschen oder auch Schlüsselanhänger waren in den letzten Jahren mit Pelzbesatz bestückt. Im Jahr 2013/2014 wurden nach Auskunft des Deutschen Pelz Instituts weltweit 87,2 Millionen Felle mit einem Gesamtwert von 3,7 Milliarden Euro produziert. 35 Millionen Nerzfelle kamen 2014 allein aus China. Bis also für alle Nerze, Zobel, Chinchilla und Füchse die Käfigtüren aufgeschlossen werden, wird es noch eine Weile dauern.

 

 

Kunstpelz vom Marderhund

 

Bleibt die Frage, ob Kunstfell eine Alternative sein könnte. Und da werden aus einer Frage schnell drei. Erstens: Ist die Produktion und Entsorgung von Kunstfell nicht auch umweltschädlich? Zweitens: Ist der Fellanmutung nachzueifern nicht an sich ethisch problematisch? Und drittens: Ist wirklich alles, was als Kunstfell deklariert wird, wirklich Kunstfell? Um mit Frage drei zu beginnen, ausdrücklich nein! In einer Untersuchung von Stiftung Warentest wurde in vielen Fällen festgestellt, dass Besätze mit angeblichem Kunstfell tatsächlich aus Echtfell waren. Wie kann das sein? Ganz einfach: Echtfell ist unter Umständen preiswerter als Kunstfell. Nämlich dann, wenn sogenannte Marderhunde in China nicht bei verantwortungsvollen Züchtern mit Leckerli, sondern auf riesigen Farmen unter erbärmlichsten Bedingungen kostengünstig großgezogen werden. Aus ihrem Fell lässt sich kein Designermantel machen, für einen Besatz reicht die Qualität aber allemal. Besonders dann, wenn er als Kunstpelz deklariert wird. Drei Tricks gibt es, um falschen von echtem Pelz zu unterscheiden. Pusten: Echtes Fell bewegt sich schon bei der leichtesten Brise, Kunstfell ist steifer. Anzünden: Echtes Fell zerfällt und riecht nach verbranntem Haar, Kunstpelz schmilzt zu Klümpchen und riecht nach Plastik. Gegen den Strich kämmen: Wer ein Fell gegen den Strich kämmt, sieht Leder, bei Kunstfell kommt Kunststoff zum Vorschein. Ob nun die Produktion und Entsorgung von Fake Fur auf andere Weise genauso verantwortungslos ist wie Pelzfarmen, darüber lässt sich streiten. Sicher ist wohl, dass die Einstellung der Produktion von Kunstfell, für die eine im Gesamtbild vergleichsweise geringe Menge Acryl verwendet wird, den Planeten nicht retten, aber einige Tiere mehr das Leben kosten würde. Andererseits, auch echte Pelze sind chemisch behandelt, etwa mit Formaldehyd. Wie man’s macht, ist es falsch.

Sind High-Tech-Pelze die Alternative?

Also am besten weder Kunst- noch echtes Fell? Konsequent wäre das. Allerdings, selbst die Veganerin Stella McCartney, in deren Kollektionen auch kein Schuh aus Leder sein darf, ist von ihrer kompromisslosen Haltung abgewichen. Lange hatte sie Fake Fur abgelehnt, weil sie den Look an sich nicht propagieren wollte. Die Fortschritte der Technik und die Bedürfnisse der Kundinnen haben sie einlenken lassen. Bei ihren haarigen Faux-Fur-Kreationen aus Modacryl geht es nicht darum, echtes Fell täuschend echt zu imitieren. Im Gegenteil, unübersehbare „Fur Free Fur“-Etiketten am Ärmel sagen, was Sache ist. Das Londoner Label Shrimps hat Fake Fur den Billig-Touch ausgetrieben und dafür mit einer Prise Humor und Coolness angereichert. Shrimps-Modelle spielen mit dem mal tantigen, mal divenhaften Pelz-image. Ein zuckerwatterosa Mantel nennt sich, zum Beispiel, aktuell „Elspeth“, eine weiße Synthetikwolke „Marilyn“. Kostenpunkt so um die 1000 Euro. Kunstpelze der neuesten Generation, sogenannter „High Tech Fur“, wie ihn etwa die Marke Ainea herstellt, mischen synthetische Fasern mit Wolle, Alpaca und Mohair. Nachbehandlungen machen die Kunstprodukte dann weich, glänzend und dicht, fast wie einen echten Pelz. „Pelz oder nicht Pelz – und wenn ja, welcher?“, das ist hier die Frage. Eine echte Gewissensfrage.

Der Text erschien zuerst auf Zeitmagazin ONLINE