Tischkultur, ganz ehrlich, der Begriff wirkt ein wenig hausbacken. Er klingt nach Aussteuer und einer Zeit, in der man noch ohne Gewissensbisse, dafür aber mit geradem Rücken, Schildkrötensuppe aus der Suppentasse mit Goldrand oder Zwiebelmuster aß. Das feinwandige Tässchen gehörte zu einem vielteiligen Service, das „das Gute“ genannt wurde. Wer im Besitz solch „guten“, möglichst alten Porzellans, etwa aus den Manufakturen von Meissen, KPM, Nymphenburg oder auch Fürstenberg ist, kann sich freuen. Es ist vielleicht nicht mehr wie im 18. Jahrhundert „weißes Gold“, aber doch wertbeständig. Und keine Frage, so ein Service macht etwas her. Die alten Manufakturen haben es allerdings in den letzten Jahren nicht einfach. Die Konkurrenz preiswerter industrieller Massenware ist groß. Man muss die Qualität einer makellosen, manchmal fast samtigen Glasur und die feine Kunst der Porzellanmalerei wirklich zu schätzen wissen und sich auch leisten können. Und die Zeiten, in der eine Aussteuer zur Braut gehörte wie der weiße Schleier, sind genauso vorbei wie der Glaube, dass das Leben, die Ehe und das zu ihr gehörige Tafelservice etwas halbwegs Verlässliches sei.
Die moderne Flexibilität macht den klassischen Manufakturen feinen Geschirrs das Geschäft schwer. Ehen können zerbrechen wie Teller, häufige Umzüge, Fernbeziehungen, kleine Wohnungen kennzeichnen das moderne Leben. Eine umfangreiche Porzellansammlung mit Ess-, Dessert- und Kuchentellern, Saucieren, Salatschüsseln, Suppenterrinen, Butterschalen und und und ist eine verzichtbare Belastung.
Patchwork ist das Lifestyle-Thema der Stunde
Aber, es gibt auch eine Gegenbewegung. Gerade, wenn die Zeiten unsicher erscheinen, wenn das Leben anstrengend ist, wird das Bedürfnis größer, es sich zu Hause schön zu machen. Allerdings sind die Vorstellungen davon, was sich gehört und wie es auszusehen hat, ganz andere als früher.Wie in der Mode wird heute gemixt. Weißes mit dekoriertem Porzellan, altes und neues, kostbares und preiswertes. So entsteht eine Lebendigkeit auf dem Tisch, die zum aktuellen Lebensgefühl viel besser passt. Wenn Teller aus Omas Geschirr fehlen, müssen sie nicht durch identische ersetzt werden. Im Gegenteil. Patchwork ist das Lifestyle-Thema der Stunde. Und natürlich haben sich auch unsere Essgewohnheiten geändert, der Einfluss etwa der asiatischen Küche hat auch die Porzellanhersteller gefordert.Reis-, Sushi- und Sojaschalen sind selbstverständlich im Angebot. Von KPM gibt es – typisch Berlin, aber auch andernorts beliebt – die Kurland Currywurstschale mit dem charakteristischen Relief. Trend ist zweifellos, die Teile eines Services vielfältig nutzen zu können, und ihre Kombinierbarkeit untereinander. Eine Untertasse kann zum Beispiele auch als Ablage für Kekse oder Pralinen gereicht werden. Stefanie Hering ist das beste Beispiel für eine Erfolgsgeschichte in Sachen modernes Porzellan. Erst 1992 gründete sie ihre Manufaktur und ist heute international gefragt. Den Erfolg verdankt sie neben der schönen Form ganz sicher dem Umstand, dass es ihr gelungen ist, der alten Tischkultur neuen Geist zu verleihen. Es geht bei ihren Services nicht um Konvention, sondern um Emotion. Zwanglosigkeit ersetzt die Steifheit. Deutlich wird das, wenn aus dem gleichen Becher Tee oder Cappuccino getrunken und auch ein Süppchen genossen werden kann, Schalen für Müsli oder Obst geeignet sind, ein Kakaobecher auch Grissinis Stand geben darf – oder im Badezimmer der Zahnbürste. Mit der Serie „Mesh“ verfolgt Rosenthal ein ähnliches Konzept. Bei Meissen macht die neue Serie „Cosmopolitan“ Mut zu mehr Flexibilität und Sieger zeigt mit „Seven“, dass sieben Teile für stilvolle Esskultur genügen.
Im Sommer ist Wiesengrün oder Butterblumengelb gefragt
Es geht um Lust und Genuss bei Tisch. Weißes Porzellan ist zwar mit Abstand das am besten verkaufte, die Kundinnen und Kunden lieben aber auch farbige und fröhliche Dekors: Blumenmotive etwa, gerade jetzt im Frühling, und auch passend zur aktuellen Mode. Tatsächlich ist auch das Porzellangeschäft in gewisser Weise ein saisonales. Im Sommer ist Wiesengrün oder Butterblumengelb gefragt, zum Herbst hin dann Orange, Tannengrün und dunkles Rot. Farbiges Porzellan kann zur weißen Grundausstattung immer wieder neu kombiniert werden. Leichter wird das, weil es schönes Porzellan auch zum erschwinglichen Preis gibt. Tokyo Design etwa, ein japanisches Label, das asiatische Strenge und Dekorativität gut zu verbinden weiß, oder das dänische GreenGate mit seinem nostalgischen Flair sind geeignete Beispiele. Auch sie macht attraktiv, dass sich fast alles Dekore miteinander kombinieren und ganz individuelle Mixe zusammenstellen lassen. Keine Tafel ohne Gläser und kein Getränk, für das es nicht auch das passende Glas gäbe. Für Wein ist das sowieso selbstverständlich. Überraschend ist aber vielleicht, dass von Riedel, Glasspezialist seit 1756, nun auch ein Colaglas angeboten wird.Ein Comeback feiert gerade Whisky und damit auch die Gläser, Tumbler oder das Noising Glas, aus denen die Spirituose getrunken wird. Whiskygläser gibt es in Designs, die aus Zeiten stammen, in denen noch das Tafelservice komplett war, aber auch in modernen Formen. Generell gilt auch hier: Alles ist möglich. Kostbares Kristall und feine Überfanggläser, etwa von Theresienthal, dürfen auf einer Tafel auch neben Industrieware stehen – solange es nur dem Genuss dient.