Schluss mit dem Karneval

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Miu Miu Herbst Winter 2013

Nun, wo nichts anderes übrig bleibt, als dem Sommer Ade zu sagen, steht der einen oder auch dem anderen sicher der Sinn nach einem neuen Gewand für die kühle Jahreszeit. Schließlich soll der neuen Saison angemessen modisch begegnet werden. Aber, gar nicht so einfach zu entscheiden, was für einen richtig ist, wenn in Modezeitschriften und Fashionblogs gleichzeitig klare Linien und neue Sachlichkeit – exemplarisch Jil Sander oder Celine, aber auch 50er-Jahre-Divenhaftigkeit wie zum Beispiel bei Louis Vuitton, Bottega Veneta oder Dior gezeigt werden. Möglich wäre auch der neue Rockstar-Chic, den Hedi Slimane gerade für Yves Saint Laurent propagiert oder glänzende Techno-Looks, wie sie etwa Kenzo oder Alexander Wang im Angebot haben. Armani, Gucci und Co., jeder macht sein eigenes Ding, so scheint es. Und auch bei Zara, H&M oder Mango ist es nicht leicht, den Überblick zu behalten. Ob Kleider oder Accessoires: Fast alles ist möglich. Es gibt flache Schnürschuhe und hohe Absätze, Plateaus und auch Sneakers, Wedges und Seidenstiefel genauso wie Bikerboots. Taschen sind groß und größer, rund und flach, schmal, breit oder aber auch ganz klein. „Ist ja alles so schön bunt hier“, oder „hasch mich, ich bin der Trend“. Die Normalverbraucherin ist verwirrt und fragt sich, ob sie den Wald vor lauter Bäumen, besser: den Trend vor so vielen Angeboten nicht mehr sieht.

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Herbst Winter 2013

Nicht jede ist zur Lady Gaga geboren

Was also ist Trend? Die erste Reaktion derer, die berufsmäßig mit Trends zu tun haben, ist ein Augenbrauenrunzeln. „Trends?! Die sind nur etwas für Fashionvictims, die allem hinterherlaufen, was scheinbar angesagt und womöglich schrill ist. Der wahre Modekenner spricht heute von einer Lebenswelt, einem Lifestyle oder gesellschaftlichen Strömungen, die unser Leben auch ästhetisch beeinflussen – und zwar jeden irgendwie anders. Ein Trend ist also ohne Frage die Individualisierung. Der Zeitgeist verlangt die Inszenierung des eigenen Ich, das Zurschaustellen einer Persönlichkeit. Dieser Anspruch an die Selbstinszenierung ist für manchen – durchaus verständlich – eine Überforderung: Nicht jede ist zur Lady Gaga geboren. Die Modemacher reagieren darauf und positionieren sich. Sie bieten ihren Kundinnen und Kunden Markenwelten, in denen diese sich wiederfinden sollen, die ihnen die Sicherheit geben, richtig zu liegen. Nicht ohne Grund war in den letzten Jahren in der Mode soviel von Heritage, also von Erbe, von Traditionen, von Handwerk und von der DNA einer Marke die Rede. Das beruhigt und schafft Vertrauen. Was auf den Laufstegen von New York über London, Mailand und Paris gezeigt wird, ist also längst kein Trenddiktat mehr, die Schauen sind vielmehr eine Ausstellung dessen, was die Modehäuser als Essenz ihres Markenkerns für die jeweilige Saison definieren. Ralph Lauren etwa bedient Jahr um Jahr all jene, die reichen Ostküstenschick für angemessen halten, Prada die intellektuelle Avantgarde, Versace verkörpert Luxus und Sex, Armani zeitlose Eleganz, Dries van Noten multikulturelles Weltbürgertum, Chanel bietet das Rundum-sorglos-Paket für alle, die gesellschaftlichen Status und Modemut zeigen wollen, aber das Risiko scheuen.

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Prada Herbst Winter 2013

Unkompliziert und trotzdem très chic

Bei aller Vielfalt gibt es aber doch immer Themen, die viele Designer gleichzeitig beschäftigen, auch wenn sie im Design zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen. Diese Trends sind dann meist viel weniger schnelllebig, als der Mode so oft vorgeworfen wird. Schon eine ganze Weile und mit erstaunlicher Hartnäckigkeit werden zum Beispiel die Rocksäume länger. Ein Trend, der sich nicht so einfach durchzusetzen scheint, an dem aber konsequent festgehalten wird. Ganz klar ist auch, dass nach vielen Saisons großer Farbigkeit Beruhigung einkehrt. Schwarz ist präsent wie lange nicht mehr, trotzdem ist die Mode nicht düster. Leuchtendes Blau, Grün oder Rot setzen Akzente – in Metallic geben diese Töne Outfits eine prägnant-futuristische Note. An Prints und Mustern probieren sich die Designer schon eine ganze Weile aus, sie sind modisch wie lange nicht mehr, Kreise, Quadrate, Romben, aber auch florale Prints werden uns noch länger beschäftigen. Immer öfter gehen die Models auch in flachen Schuhen über den Laufsteg – ganz ohne Frage ein Trend – auch wenn es weiterhin atemberaubende High Heels gibt. Insgesamt weicht das Drama in der Mode einer dem schönen Alltag zugewandten, erwachsenen Attitüde. Die Britin Phoebe Philo, Designerin bei Celine, beeinflusst seit einigen Saisons die Mode wie keine andere. Quasi ein Fashionstatement ist, dass sie sich als Person kaum in den Vordergrund spielt. Ihr Look: Unkompliziert und trotzdem très chic. Aber auch, dass der Minimalist Raf Simons Nachfolger des Exzentrikers John Galliano bei Dior ist und das fulminante Comeback Jil Sanders sind Zeichen des Zeitenwechsels in der Mode. Während sich die gegenseitig vor den Schauen fotografierenden Fashionjünger immer schriller kostümieren, ist bei den Profis, die in den vorderen Reihen der großen Schauen sitzen, deutlich eine Tendenz zur modischen Abrüstung zu beobachten. „Schluss mit dem Karneval“, soll übrigens Papst Franziskus beim Anlegen seiner Gewänder dem Kammerherren befohlen haben. Damit zeigt er sich als Trendsetter. Dieses Motto gilt nämlich nicht nur für den Vatikan.

Die große Retrowelle ebbt ab

Die Balance zu finden zwischen dem Bewahren des Alten, also der eigenen Identität, und auch den Schritt ins Neue zu wagen, darin liegt die Herausforderung, für den Papst genauso wie für jeden Modekonsumenten. Wo stehe ich? Was ist meine Lebenswelt, was bin ich meiner Umwelt schuldig? Das sind die zentralen Fragen, die ehrlich beantwortet nicht nur Kleiderfragen klären helfen. Lidewij Edelkoort ist vermutlich die einflussreichste Trendforscherin der Welt. Ihre Prognosen basieren nicht auf Datenmaterial, das statistisch erhoben wurde, sondern auf Beobachtung und Intuition. Der Kostümkünstler Stephan Hann hat lange in Paris gelebt, eine Zeit lang in Wien gelehrt und verschiedene Projekte mit Swarovski realisiert. Im Museum Bellerive in Zürich oder im Deutschen Historischen Museum in Berlin wurden seine Materialkleider bereits gezeigt. Schon vor vielen anderen hat er sich mit dem Thema Nachhaltigkeit und der Ästhetik scheinbar nur noch zum Wegwerfen geeigneter Materialien beschäftigt. In Paris hat er Edelkoort kennengelernt und sich sehr von ihr ermutigt gefühlt. Für ihn ist klar: „Einen Trend kannst du nur erspüren, wenn du deiner Intuition folgst und deinem Bauchgefühl vertraust.“ Mobilität, urbanes Grün und die älter werdende Gesellschaft sind die zentralen Themen, mit denen sich Trendforscher wie Edelkoort momentan beschäftigen. Wie sich das auf das Design auswirkt? Momentan sieht es so aus, als ob die große Retrowelle der vergangen Jahre abebbt, was nicht bedeutet, dass die Hose neu erfunden wird. Jeder weiß, dass Neues nur in Bezug auf Vergangenes entsteht. Modernität heißt, gerade in der Mode, nach vorne schauen und das Gewesene selbstverständlich integrieren. Nicht alles neu, aber dem Neuen aufgeschlossen gegenüberstehen ist genauso Trend, wie sich auf keinen Look festlegen. Heute Brillenschlange, morgen Vamp? Warum nicht! Mobilität ist in jedem Bereich Kennzeichen unseres modernen Lebens. Und wie überall gilt: Nur Übertreibung schadet. Intuition und Vertrauen und, das könnte man noch ergänzen, auch Markenkenntnis sind der Schlüssel für die Zusammenstellung der richtigen Herbstgarderobe. Trendy ist sie dann ganz von selbst.

Fashion Review – Die Themen der Saison 

„Mitten im Leben“ könnte das Motto der Saison lauten. Die internationalen Designer präsentieren im Großen und Ganzen Mode mit Sinn für die Realität. Tragbarkeit ist ein Gedanke, dem die Modemacher Raum geben. Die Zeiten des „Phantasie verlass mich nie“ sind einer pragmatischeren Herangehensweise ans Kleidermachen gewichen. Natürlich gibt es mehrere Strömungen parallel, ihnen gemeinsam ist aber eine zurückgenommene Farbigkeit, es dominieren Schwarz, Grau, Weiss und Zwischentöne. Viele Looks sind architektonisch, Sportivität spielt vielfach eine Rolle. Lockere Volumen, Keulenarme und runde Schultern für Kostüme, Mäntel und Jacken sind typisch. Leder und Pelz fehlt in fast keiner Kollektion und auch wer sich schmücken möchte, liegt modisch durchaus richtig. Es gilt die Devise: Wenn schon, denn schon! Schmetterlinge, Reptillien, Kreuze, flattern, kriechen, baumeln. Je größer, desto besser.