Schmuck Oldies

Die Mode beschert uns gerade viel Schmuck. Das Motto lautet: „Bescheidenheit ist eine Zier, aber weiter kommt man ohne ihr.“ Große Anhänger baumeln am Hals; möglichst jeden Finger schmückt ein Ring. An Revers wachsen goldene Blüten, und von den Ohren hängen Mobiles. Immer gilt: Je auffälliger, desto besser. Influencerinnen sprechen von Chunky Chains XL (Gliederketten), Artsy Ohrringen (auffällig gestaltete Ohringe) oder Ring Stacking (Mix und Match von vielen Ringen in Gold und Silber). Kann gut sein, dass die neue Schmuck-Manie etwas mit den vielen Zoom Meetings zu tun hat. Glänzendes Gold, schimmerndes Silber, glitzernde Steine bringen einen Hauch von Glamour ins Home Office und auf den Bildschirm. Motto: Unten Jogginghose, oben Diadem. Keine Frage, Schmuck wertet Looks auf, gibt ihnen Persönlichkeit und ist – je schwerer das Gold wiegt und je mehr die Diamanten funkeln – Statussymbol. 

Ein Zeichen von Souveränität: Labels spielen keine Rolle

 

Schmuck ist trendiger denn je ist und besonders fashionable, wenn er nicht frisch vom Laufsteg, sondern gerne – oder sogar besser noch – aus zweiter, wenn nicht dritter oder vierter Hand sein darf. The ReaReal ist einer der wichtigsten und innovativsten Online Shops für Vintage-Mode und Accessoires. Seine Analyse des Kaufverhaltens der KundInnen 2021 ist eindeutig. Auf Platz 1 der meisten Suchanfragen steht Chanel, auf Platz 2 weckt No-Name-Schmuck die größte Begehrlichkeit. Ketten, Ringe, Armbänder und Ohrringe aus privater Hand, von unbekannten Goldschmieden sind begehrt und sogar attraktiver als die It-Bags von Hermes & Co. Woran liegt das? Beim No-Name-Schmuck geht es darum, etwas zu besitzen, das sich nicht einfach googeln oder im nächsten Flagship Store kaufen lässt. Er hat mindestens Seltenheitswert. Und ist es nicht in unserer Konsumwelt, in der Marke alles ist, ein Zeichen von Souveränität und Geschmackssicherheit, sich für etwas ohne Logo zu entscheiden? Dazu kommt der Luxus in Zeiten des Informationsüberflusses, mal nicht alles wissen zu müssen. „Welcher Juwelier  hat Deinen Ring gemacht?“„Ehrlich gesagt, keine Ahnung, aber ich liebe ihn!“ Coole Antwort. 

Clemens Ritter von Wagner war lange für Cartier tätig, zuletzt in Palm Beach. Vor acht Jahren eröffnete er sein kleines, feines Geschäft ‚Wagner Preziosen‘ in Berlin. Im Angebot moderner Schmuck von ihm oder anderen Schmuckkünstlern und Künstlerinnen. Seine Spezialität: Vintage Schmuckstücke, der allerfeinsten Sorte. Schwingende, kreisförmige Art déco-Ohrringe aus Platin, besetzt mit Diamanten und Saphiren kann er präsentieren oder ein diamantenbesetztes Bandeaux, das kesse Damen in den 20ern auch um die Stirn banden. Die aktuelle Idee des Upcycling hat ein Armband aus den 40ern mit seiner abnehmbaren, diamantenbesetzten Schließe aus den 20er Jahren vorweggenommen. „Es sind“, von Wagner zögert, „sagen wir mal, besonders kultivierte Kunden, die sich für diese Stücke interessieren.“ Sie legen keinen Wert darauf, ein wiedererkennbares Stück von Cartier, Tiffany oder Bulgari zu tragen, sondern lieben gerade das Einzigartige dieser Schmuckstücke unbekannter Juweliere. Wahrer Luxus und Stil sind für diese Kundinnen und Kunden keine Frage des Logos. Eher das Gegenteil. Es gibt, das kann er bestätigen, ein steigendes Interesse an edlem Vintage-Schmuck. 

 

 

Nachhaltig schön: Second Hand und Fairtrade Gold

 

Ob so hochkarätig wie bei Clemens Ritter von Wagner oder von einem der Vintage-Portale, vielleicht auch vom Flohmarkt: Der Trend zum Schmuck aus zweiter Hand passt gut in die allgemeine Stimmung. Nachhaltigkeit ist das große Thema in der Mode und Second Hand eine Facette davon. 

Wer Schmuck neu kauft, könnte darauf achten, dass er aus fair produziertem Material gefertigt wurde. Die Bedingungen beim Abbau von Gold und Diamanten in den Minen in China, Südamerika, Asien oder Afrika entsprechen nämlich meist keineswegs wünschenswerten Standards. Kinder werden dafür eingesetzt, in enge Schächte zu kriechen. Zyanid- und Quecksilberlösungen, die zum Trennen des Goldes von Gestein notwendig sind, vergiften Mensch und Natur. Für den Verein ‚Rettet den Regenwald‚ steht fest: „Der moderne Goldabbau verletzt die Menschenrechte und hinterlässt tote Mondlandschaften, lang anhaltende Umweltschäden und soziale Probleme.“ Es gibt aber einige zertifizierte Minen von Bergbaukooperativen in Peru, Kolumbien oder der Mongolei, die Fairtrade- oder Fairmined-Siegel haben. Sie garantieren ökologische und soziale Standards und eine nachvollziehbare Lieferkette. Laut einer Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe von 2019 arbeiten allerdings nur wenige Juweliere und Goldhändler in Deutschland mit fair gefördertem Gold und Silber. Wenn, dann sind es kleinere Goldschmieden. Am besten ist es also, darüber mit dem Juwelier, der Goldschmiedin des Vertrauens ins Gespräch zu kommen und ihn oder sie vielleicht sogar für das Thema zu sensibilisieren. Jan Spille aus Hamburg bietet seit 2003 als erster Goldschmied in Deutschland Schmuck aus Eco+Fair Trade Gold und Silber an. 2015 wurde sein Atelier ebenfalls als erstes deutsches Schmuckunternehmen Fairtrade zertifiziert, Spille ist also ein Aktivist, ein Vorkämpfer in Sachen nachhaltiger Schmuck. 2016 hat er den Fairtrade Award und 2019 den German Design Award für sein Engagement gewonnen. Seine Branche sei noch ziemlich konservativ, Nachhaltigkeit in Bezug auf Schmuck nicht so im Bewusstsein. meint der 46-Jährige, „Es ist eine Generationenfrage. Das Umdenken hat begonnen. Viele unserer Kundinnen sind zwischen 30 und 40. Die möchten einen Trauring mit gutem Gewissen kaufen und fragen, woher das Material dafür kommt“, so seine Erfahrung. Spille bietet Schmuck aus Gold mit dem Fairmined Eco– oder Fairtrade-Siegel an. Außerdem kauft er Altgold an und verarbeitet es als Recycling Gold in einem hauseigenem Upcycling-System. Unter dem Motto ‚Direkt Recycling‘ können seinen Kundinnen und Kunden aus ihrem alten Schmuck neuen schmieden lassen. Eine Besonderheit ist sogenanntes Flussgold, das in Deutschland ökologisch und ethisch unbedenklich als Nebenprodukt des Kiesabbaus in Rhein, Elbe oder Isar gewonnen wird. Klar, dass der Hamburger Spille vor allem Elbegold im Angebot hat. Je nachdem, wo unter welchen Bedingungen das Öko- und Faire Gold gewonnen wurde, ist es um 10 bis 30 Prozent teuer als herkömmliches.

Es ist nicht alles Gold, was glänzt

 

Schmückendes muss nicht zwingend aus Gold oder Silber sein. Es gibt eine Reihe von Labels, die aus Messing, Papier, Holz oder Glas wunderschöne individuelle Schmuckstücke herstellen. Manche sind modern, andere entwickeln altes Kunsthandwerk weiter. Ein Beispiel ist das Angebot von FOLKDAYS x El Puente, einem Projekt, das im Herbst 2020 startete und eine Auswahl nachhaltiger, fair produzierter Schmuckstücke, Accessoires und Interior-Produkte von KunsthandwerkerInnen, aus kleinen Familienbetrieben und lokalen Fairhandelsorganisationen aus Afrika, Asien und Lateinamerika anbietet. 

Es gibt also viele Möglichkeiten, den aktuellen Schmucktrend verantwortungsvoll auszuleben. Ganz gleich welcher nachhaltige Schmuck unter dem Weihnachtsbaum glitzert: Viel wichtiger als die Karatzahl ist, dass die Preziosen liebevoll ausgesucht und besonders sind. Coco Chanel vertrat übrigens die Ansicht. „Schmuck soll einen nicht wohlhabend erscheinen lassen, sondern schmücken.“ Deshalb trug sie bevorzugt falschen Schmuck. Und davon reichlich.