Nadja Al-Chalbi, 52, Mutter von zwei Söhnen,18 und 19 Jahre alt, ist eine von den Frauen, die, obwohl sie in Zentimetern gemessen, vielleicht nicht groß sind, doch dank Ihrer Persönlichkeit groß wirken. Sie ist eine schlagfertige, witzige, selbstironisch kluge Beobachterin ihrer Umgebung.
1966 wurde Nadja Al-Chalbi in eine Familie geboren, in der zwei Welten völlig überraschend aufeinander trafen: Ihre Mutter floh als junge Frau kurz vorm Mauerbau aus der DDR; Nadjas Vater, ein intellektueller Iraker, wollte in Deutschland seinen Doktor machen und gelebte Demokratie kennenlernen. Ihre Eltern trafen in Gießen aufeinander – Liebe des Lebens. Nadja Al-Chalabi ist zeitweise im Irak aufgewachsen, ist die große Schwester zweier Brüder und wollte immer Journalistin werden. Sie hat lange beim Privatfernsehen als Redakteurin und Reporterin vor und hinter der Kamera gearbeitet, moderierte eine Society-Kolumne im ZDF Morgenmagazin und war zuletzt Producerin der gesellschaftspolitischen Talkshow von „Peter Hahne“ im ZDF.
Sie ist ein Organisationstalent, menschliche Sensibilität zeichnen sie aus. Dass sie Durchsetzungsvermögen besitzt, hat sie nicht nur als Frau, sondern auch als Frau mit Migrationshintergrund mehrfach bewiesen.
Nikolas: Du machst jetzt schob ziemlich lange Fernsehen. War das die richtige Entscheidung?
Nadja„Ja! Auch nach fast 25 Jahren kann ich sagen, dass ich glücklich bin, meinen Traumjob gefunden zu haben. Schon als Teenager wusste ich, dass ich Journalistin werden will. Ich habe immer Lea Rosh, damals Moderatorin bei „3nach9“ im Fernsehen gesehen, eine tolle Interviewerin. Da wusste ich: Dort will ich hin, zum Fernsehen. Und dann gab es in der ARD eine der ersten weiblichen Auslandskorrespondenten, Navina Sundaram-Rummel, sie hatte indische Wurzeln. Es gab damals ja noch nicht viele Frauen im Fernsehen, die eine wichtigere Rolle gespielt hätten, und schon gar nicht mit dem sogenannten „Migrationshintergrund“. Das war wichtig für mich, ich habe nach role models gesucht. Also ja, ich liebe meinen Job, weil er von einem verlangt, im Kopf beweglich zu bleiben. Er fordert dich ständig auf so vielen Ebenen heraus. Wenn du anfängst, dich auf dem auszuruhen, was du gestern gemacht hast, hast du auch schon verloren.“
Nikolas: Gab es eine Alternative zum Journalismus?
„Kurz vor dem Abitur war ich mal unsicher und fragte mich, ob ich nicht doch lieber Innenarchitektin werden sollte. Wie Menschen wohnen und wie sie sich einrichten, fand ich immer interessant. In den 80gern, im ländlichen Norddeutschland hatten die meisten von uns zu Hause stabile Holzmöbel, braune Teppiche, braune Deckenstrahler, etwas Messing und die obligatorische Essecke in der Küche stehen. Und dann gab es noch die Ärzte-Eltern! Die hatten weiße Designermöbel, futuristische, riesige italienische Designerlampen in Weiß, blanke, weiße Böden und lange, schwebende Esstische, die von filigranem Stuhlwerk begleitet wurden. Oh unbekannte Welt! Um Innenarchitektur studieren zu können, hätte ich aber zuvor eine Ausbildung, vorzugsweise als Tischlerin, machen müssen. Das lag mir nicht, und so habe ich es sein lassen. Ich interessiere mich aber noch heute für Interior Design und Architektur, wurschtel gern in meiner Wohnung rum und tausche regelmäßig das ein oder andere alte Stück gegen ein neues aus. Mein Lieblingsladen in Berlin heißt übrigens https://amazing-crocodile.de. Sonst bin ich nicht so kreativ. Ich kann nicht zeichnen, nicht rumzimmern oder bauen, und einen ordentlichen Roman werde ich auch nie zustande kriegen. Ansonsten tauschen sich die Klamotte und ich auch gerne aus.“
Nikolas: Du hast gerade gesagt, du ziehst Dich gerne schön an. Das gehört ja auch zu Deinem Job als Redakteurin im Studio und auch auf den vielen Events, die Du besuchst, ist es schon wichtig, wie Du aussiehst. Ändert sich Dein Kleiderstil mit dem Älterwerden?
„Man kann leider nicht mehr jeden Modetrend mitmachen. Zu viel Schleifen, Rüschen, Farben, Muster, Glitzer und diese verflixt enganliegenden Stoffe werden ab 50 zu einer reellen Bedrohung am Leib. Wenn man jung ist, kann man alles tragen. Man muss noch nicht mal megaschlank sein, aber alles ist fest und stramm. Ich habe immer gehofft, das mit dem Älterwerden überspringt unsere Generation einfach. Pustekuchen. Jetzt habe ich meine beiden Söhne als zweite Instanz verpflichtet. Sie sagen mir schnell und unmissverständlich Bescheid, wenn ich DAS lieber nicht tragen sollte. In den letzten Jahren habe ich viele Klamotten aussortiert: Tschüss Miniröcke, ihr engen Jäckchen und Kleider, ade ihr Glitzersterne, engen T-Shirts und engen Hemden aller Art, oh Lieblingsjeans – werden wir JEMALS wieder zueinander finden? Es tut immer noch weh, aber ich kann bestimmte Sachen einfach nicht mehr tragen.“
Nikolas: Kannst Du sie nicht anders tragen?
„Ich hatte jahrelang ein Lieblingshemd von Herrn von Eden: Knall-lila-eng und sehr tailliert, an der Knopfleiste entlang ein prächtiges Rüschenwerk. Das Hemd und ich hatten eine wunderbare Zeit miteinander, but it’s over now!“
Nikolas: Warum gehen Rüchen und Lila nicht? Wo ist das Problem?
Um nicht missverstanden zu werden: Gemessen an all den wirklichen Problemen, die man im Leben haben kann, ist das natürlich alles nicht wichtig und ein Witz. Trotzdem ist das Älterwerden mit all seinen Begleiterscheinungen und der Prozess des Annehmens eine Herausforderung für uns alle. Für Männer wie für Frauen. Optisch wird nichts wirklich besser. Und nun zum lila Hemd: Eveline Hall, die Hamburger Sängerin und Tänzerin, die mit über 70 noch modelt, die könnte mein Hemd tragen. Sie sieht fantastisch aus und hat immer noch den megaschlanken Körper einer Ballerina. Ich könnte ihr mein Hemd mit sehr herzlichen und (fast) neidlosen Grüßen schicken!
Nikolas: Ok,Themenwechsel! Wie geht es ihr Dir bei der Vorstellung, dass die Jungen bald ausziehen werden?
„Eigentlich ganz gut. Time! Das hat die Natur wunderbar eingerichtet. Wenn die Brut fast erwachsen ist, findet man selbst als Mutterglucke, dass jetzt langsam auch mal gut ist. Ich habe keine Lust mehr, nach der Arbeit jeden Tag abgehetzt einkaufen zu gehen, das Zeug hoch zu schleppen, schnell noch was Gesundes zu kochen, danach Abwasch, schnell noch zwei Waschmaschinen, beim Essen die Fragen: Schule, was liegt an, abfragen, erklären? Eventuell müssen wir uns auch noch streiten, und ich muss wieder Adrenalin pumpen … Das liegt jetzt fast gänzlich hinter mir, und ich stehe immer öfter allein und nutzlos um 20.00 Uhr in der Küche rum und langweile mich.“
Nikolas: Und was machst du jetzt?
„Jetzt muss ich mich wohl um mich selber kümmern. Spannend. Allerdings habe ich auch keine Ausreden mehr, warum ich z. B. immer noch keinen Sport mache. Eine Konfrontation mit mir selbst. Ein ganz anderer Nahkampf als in den letzten Jahren mit zwei männlichen Teenagern!“
Nikolas: Vermutlich blieb in den letzten Jahren tatsächlich wenig Zeit für Dich. Warum betonst Du so, das Du nach Ausreden gesucht hast?
„Natürlich hat es auch immer ein Leben nach Arbeit und Kindern gegeben. Ich habe einen großen Bekanntenkreis und ganz wunderbare Freunde, die ich sehr liebe und die ich immer regelmäßig getroffen habe, viele tolle Events in Berlin … wunderbare Jahre! Aber mit einem anspruchsvollen Beruf und zwei Kindern, für die du genauso konzentriert da sein willst, bleibt eben nicht viel Zeit für einen selbst übrig. Um mal Grundsätzliches zu denken: Wo bin ich grad‘, find‘ ich das gut, was könnte weg – was müsste her … das Handelsübliche eben. Wenn Kinder kommen, verändern sie alles. Volle Konzentration auf diese wunderbaren Wesen, dann kämpft man darum, alles Bisherige (Job) möglichst auch noch daneben bestehen zu lassen, und wachsen will man ja auch noch … Dann sind sie groß und brauchen dich und den ganzen eingerichteten Planten??? so nicht mehr. Jetzt musst du das Ding wieder zurückbauen, suchst nach der geeigneten Größe, und die Kinder, die keine mehr sind, muss man loslassen, und das will auch geübt werden, das geht nicht so einfach von heute auf morgen.“
Nikolas: Wandelt sich das Verhältnis von Eltern und Kindern jetzt. Wird es vielleicht freundschaftlicher. Ich habe das Gefühl viele Eltern betrachten ihre Kinder als Freunde?
„Ich halte das für ein Missverständnis. Du kannst mit Deinem Kind nicht eine Freundschaft, wie zu einem deiner Freunde haben. Du bist immer Mutter, du bist immer Vater. Für deine Kinder gibst du alles. Immer und jederzeit. Das ändert sich nicht. Jedenfalls nicht in meiner Familie, und das finde ich sehr schön. Ich hoffe, dass die Jungs und ich uns immer füreinander interessieren, einander was zu sagen haben und vertraut in engem Kontakt zueinander bleiben werden.“
Nikolas: Ich hab ja selbst keine Kinder, aber ich das Gefühl, dass sich jugendliche Kinder heute viel mehr am Lebensstil ihrer Eltern orientieren. Oder vielleicht sogar ehr konservativer sind als die Eltern.
„Das stimmt. Das liegt an uns. Wir Berliner Großstadteltern ziehen ähnliche Klamotten an, hören auch mal ihre Musik und feiern am Wochenende immer noch gern Partys. Da ist es für unsere Kinder nicht leicht sich abzugrenzen. Aber meine Söhne haben Wege und Mittel gefunden, sich klassisch schmerzhaft von mir abzugrenzen. Konservativismus war allerdings nicht das Mittel ihrer Wahl.“
Nikolas: Wie gehst du mit dem Thema Älterwerden um?
Ich bin kurz vor meinem 50. Geburtstag mit meinem Bruder Yoshi spazieren gegangen, und er hat es auf den Punkt gebracht „Wenn es gut läuft, erleben wir noch 30 mal Frühling, 30 mal Winter …“. Rumms. Der Satz traf mich mit voller Wucht. Also nur noch so!!! wenig Zeit. Um alles, was man sehen, erleben wollte, auch tatsächlich zu tun. Man weiß, dass das Leben endlich ist. Eigentlich. Aber bis zum 40., 45. Lebensjahr gibt es keine wirklich spürbare Endlichkeit. Du lässt dich vom Alltag, von Bergen von Notwendigkeiten und Banalitäten, von vielen Kompromissen verschleißen und verschiebst vieles in die Zukunft. Jedenfalls habe ich das so gemacht. Es wäre dumm, wenn ich das weiterhin so laufen lassen würde. Kein brachialer Bruch mit meinem bisherigen Leben, aber ich muss Sehnsüchte und Wünsche jetzt leben, neue Prioritäten setzten.
Nikolas: Macht Dir der Gedanke an den Tod Angst?
„Ich hatte große Angst vor dem Sterben, als meine Kinder klein waren. Meine Kinder zurückzulassen, ohne sie begleiten zu können, das war ein grauenhafter Gedanke, der mich manchmal einfach so überfiel. Jetzt sind beide über 18 Jahre alt und gehen ihren Weg. Und jetzt denke ich manchmal: Ey Schicksal, komm‘ mir bloß nicht auf dumme Gedanken, nur weil die Kinder jetzt groß sind, ich habe noch viel vor!“
Danke Dir!