Slow-Fashion-Berlin

Berlin, die pulsierende Hauptstadt ist so ein Klischee, über das zu reden wäre. Angenehmerweise ist der Takt Berlins ja im Großen und Ganzen noch gemächlich. Im Vergleich zu New York sowieso, aber auch etwa Paris, London und Mailand. Wir wollen gar nicht nach Asien schauen. Auf der Fashion Week ist dieser Wohlfühlfaktor – auch ein Aspekt, der Berlin für internationale Besucher ja so attraktiv macht – zwiespältig. Nirgendwo sonst fangen Schauen so oft so selbstverständlich verspätet an, bis zu 45 Minuten, oder aber ganz pünktlich. Andernorts muss bei über 30 Minuten Delay Strafe gezahlt werden. Man kann sich in Mailand und Paris darauf verlassen, dass jede Schau genau 30 Minuten nach dem offiziellen Zeitpunkt startet. Man weiß also, wann man zu kommen hat, und kann seine Zeit einteilen, ist nie zu spät oder zu früh. In Berlin verpasst man die eine Schau, weil man fünf Minuten zu spät ist, bei der nächsten steht man sich die Beine in den Bauch. Und dann wirken die Präsentationen mitunter wie in Zeitlupe. Ein Model läuft gemächlich nach vorne, Leere auf dem Rest des Laufstegs. Sie oder er präsentiert sich ausführlich der übersichtlichen Anzahl von Fotografen und schlendert zurück. Erst dann erscheint das nächste aus den Kulissen. 15 Models für zu viele Kleider zu langsam vorgetragen – auch das ist Slow-Fashion-Berlin. Normalerweise kann man gar nicht so schnell zählen, wie die Models an einem vorbeiziehen, es sind 30, 40, manchmal mehr. In Berlin stimmt zu oft das Timing nicht. Manchmal gibt es auch noch Tanz- oder Gesangseinlagen.

 

 

Mercedes-Benz Fashion Week

Esther Perbandt, Mercedes-Benz Fashion Week Berlin. Foto: Birgit Kaulfuss

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Esther Perbandt, Mercedes-Benz Fashion Week Berlin. Foto: Birgit Kaulfuss

 

Der Stillstand ist Konzept

Eine Regel lautet: Immer wenn der Entertainment- oder, fast gefährlicher noch, Kunstcharakter einer Schau überhand nimmt, lässt das Böses für die Mode erwarten. Esther Perbrandt gelingt es, mit ihrer androgynen Konzeptschau – ein Durchgang in Schwarz, einer in Weiß, einer in Schwarz-Weiß – fast das Gegenteil zu beweisen. Ihre Kleider sind ein Statement, die Models Typen, die man gerne verfolgt. Sie hat einen eigenen wiedererkennbaren Look entwickelt. „Meisten sehe ich gerne aus wie ein Zinnsoldat“, sagt sie. Mit ihrer typischen Kappe und der langen schlanken Silhouette gelingt ihr das mühelos. Auf ihre Schauen freut man sich. Es ist zu wünschen, dass sie die Grenze zwischen Modeperfomance, Kunst und Kunstgewerbe nicht aus den Augen verliert.

 

 


Steinrohner Präsentation MBFWB SS16 Photo: MarkusHeine
 

Präsentationen wie etwa von Steinrohner in der Stage des „me Collectors Room“ sind ein schöner Kompromiss. Statt Kunst- eine Fashioninstallation. Der Stillstand ist Konzept und der Besucher kann sein eigenes Tempo wählen. Der Vorteil ist, man ist ganz nah dran am Entwurf, kann Material und Schnitt genau sehen. Die Inszenierung im Raum unterstützt die Aussage. „Relief the Reef“ nennen Inna Stein und Caroline Rohner – 2015 Gewinnerinnen des Young Designers Award – die vorgestellte Kollektion „Edition“, wie es in der Pressemitteilung heißt. Eine Asienreise gab die Inspiration für die Kleider, die Besucher werden in eine Unterwasserwelt geführt. Silhouetten, Prints und Strukturen erinnern etwa an Korallenriffe und Seeanemonen. Aus Seide, Viskose, Leinen und Kunstleder entsteht eine korallenfarbene, transparent silber-schimmernde Unterwasserwelt.

 

BERLIN, GERMANY - JULY 08:  Models walk the runway at the Julian Zigerli show during the Mercedes-Benz Fashion Week Berlin Spring/Summer 2016 at  on July 8, 2015 in Berlin, Germany.  (Photos by Joern Pollex/Getty Images for Julian Zigerli)

BERLIN, GERMANY – JULY 08: Models walk the runway at the Julian Zigerli show during the Mercedes-Benz Fashion Week Berlin Spring/Summer 2016 at on July 8, 2015 in Berlin, Germany. (Photo by Joern Pollex/Getty Images for Julian Zigerli)

Julian Zigerli Show - Mercedes-Benz Fashion Week Berlin Spring/Summer 2016 Julian Zigerli Show - Mercedes-Benz Fashion Week Berlin Spring/Summer 2016

 

 

Mit dem japanischen Illustrator Seitaro Ito hat Julian Zigerli die Prints für seine Entwürfe entwickelt. Zuckrig süß, niedlich und liebenswert, aber auch dunkel und verstörend können japanische Comic-Illustrationen sein. Mit dieser Spannung spielt er auch in seiner Schau. Die Models haben kleine Musikboxen in der Hand. Im Vorübergehen hört man Soundfetzen, die auch die Stimmung des jeweiligen Looks charakterisieren. Sportswear, klassische Hemden, kurze Anzughosen, grasverschmierte Beine und Dekolletés. Die Zigerli-Männer spielen und brechen mit Klischees. Während sie über eine weite Grasfläche liefen, ist der Laufsteg der Damen für die Perret-Schaad-Schau in einem anderen Stadtgarten ein geschwungenes leeres Wasserbecken, dessen blauer Grund vor sich hinblättert. Kein Stagedesigner hätte ein schöneres Set für diese Schau unter freiem Himmel entwerfen können. Motto: Ein Sommertag am Meer mitten in der Stadt. Azurblau, Asphaltgrau, Oliv, Blau, Rosa und Weiß, fließende Seide, raffinierte Drapierungen, Bleistiftröcke und Hemdblusenkleider. Hier wird Slow-Fashion zur Entschleunigung, wie sie eigentlich nur ein Urlaubstag bieten kann, und Berlin zeigt, was nur Berlin hat.

 

 

BERLIN, GERMANY - JULY 09:  A model walks the runway at the Perret Schaad show during the Mercedes-Benz Fashion Week Berlin Spring/Summer 2016 at  on July 9, 2015 in Berlin, Germany.  (Photo by Christian Marquardt/Getty Images for Perret Schaad)

BERLIN, GERMANY – JULY 09: A model walks the runway at the Perret Schaad show during the Mercedes-Benz Fashion Week Berlin Spring/Summer 2016 at on July 9, 2015 in Berlin, Germany. (Photos by Christian Marquardt/Getty Images for Perret Schaad)

 

 

Berlin International

Abends im Soho House sitzt, wir bemerken es erst auf den zweiten Blick, Zac Posen am Nebentisch und lässt sich Wiener Schnitzel schmecken.
Shaun Ross, ein afroamerikanisches androgynes Albino-Model aus der Bronx, bleibt kurz stehen. Small Talk. Plötzlich ist Berlin wieder Metropole, fast glamourös und gar nicht mehr so slow. „I am Zac“, stellt sich Posen uns höflicherweise vor, obwohl er angesprochen wurde. Als Schirmherr des am selben Abends sehr spät gestarteten Designer for Tomorrow Award von Peek & Cloppenburg hat man Fragen an ihn. Um die Perret-Schaad-Schau nicht zu verpassen, konnten wir die Preisverleihung leider nicht mehr miterleben. Der „local hero“ Mareike Massing, Absolventin der University of Applied Sciences Berlin, hat also gewonnen. Ihre präzisen, architektonisch anmutenden Schnitte mit klaren Ecken und Kanten überzeugten die Jury. Wir sind uns einig, dass auch die experimentellen Entwürfe der Londonerin Oksana Anilionyte ihren Reiz hatten. „Leider nicht produzierbar“, sagt Posen. Das ist ihm wichtig: Kreativität und Kommerzialität müssen Hand in Hand gehen. Aber auch Oksana Anilionyte wird ihn in seinem Studio besuchen können. Das ist doch ein versöhnlicher Ausgang der Fashion Week. Und Berlin sucht weiter seinen Weg. Mit der Premium, Seek und Bright, der Panorama und wer weiß, demnächst der neu erfundenen Bread & Butter, muss man sich wohl keine Sorgen machen.

 

 

BERLIN, GERMANY - JULY 09:  (L-R) Zac Posen and DfT 2015 winner Mareike Massing pose after the 'Designer for Tomorrow' by Peek & Cloppenburg and Fashion ID show during the Mercedes-Benz Fashion Week Berlin Spring/Summer 2016 at Brandenburg Gate on July 9, 2015 in Berlin, Germany.  (Photos by Andreas Rentz/Getty Images for P&C and Fashion ID)

BERLIN, GERMANY – JULY 09: (L-R) Zac Posen and DfT 2015 winner Mareike Massing pose after the ‚Designer for Tomorrow‘ by Peek & Cloppenburg and Fashion ID show during the Mercedes-Benz Fashion Week Berlin Spring/Summer 2016 at Brandenburg Gate on July 9, 2015 in Berlin, Germany. (Photo by Andreas Rentz/Getty Images for P&C and Fashion ID). Ganz links: Oksana Anilionyte, Finalistin „Designer for Tomorrow“ by Peek & Cloppenburg and Fashion ID

'Designer for Tomorrow' hosted by Zac Posen Award Show - Mercedes-Benz Fashion Week Berlin Spring/Summer 2016