Sommer im Trockenen

Wirklich wahr? Trockenblumen – eine Trend!? Das Gerücht hält sich hartnäckig und es beweist sich immer wieder: Wo Rauch ist, da ist auch Feuer. Aktuell – der Herbst ist da – werden Trockenblumensträuße wieder energisch als zeitgemäße Deko von Interior-Expertinnen in Print- und Digitalmedien gepriesen. Natürlich nicht, um mit ihnen zu zündeln. Sie passen farblich einfach perfekt zur Saison und bringen, wenn auch getrocknet, den Sommer ins Haus. Margeriten, Rittersporn oder Hortensien mögen nur ein Schatten ihres frischen Selbst sein – aber immerhin. Im britischen Frühstücksfernsehen erklärt die Do It Yourself-Expertin Georgina Burnett, wie man den Trocknungsvorgang immens beschleunigen kann. Die Blüten mit etwas Silica Gel ca. eine Minute in die Mikrowelle legen, schon hat die Blume den knirschtrockenen Zustand erreicht, den sonst nur wochenlanges Kopfüberhängen im warmen Heizungskeller garantiert. Weit über eine Million Beiträge sind auf Instagram unter dem Hashtag dried dlowers zu finden, Lifestyle Influencer lassen sich mit ihnen fotografieren, und das junge Berliner Start-up Grace Flowerbox wurde mit der Gründungsidee in Hutschachteln dekorierter konservierter Rosen europaweit erfolgreich. Sie sehen frisch aus und fühlen sich, dank spezieller chemischer Verfahren, auch frisch an. Neuerdings hat Grace auch getrocknete Blütenbouquets im Angebot. Gerade die junge Kundschaft findet daran gefallen. Ältere Semester denken beim Namen Grace unwillkürlich an jene Hollywood-Prinzessin, die als Fürstin dem deprimierenden Hobby des Blumenpressens nachgegangen ist. Für viele ein Symbol ihres tristen Daseins, eingezwängt in die Mauern und das Protokoll des Grimaldi-Palastes, in dem die Schöne selbst wie ein Blume verwelkte. Der Zeitgeist lässt sich davon nicht beirren: Trockenblumen treffen offensichtlich einen Nerv. In den sozialen Medien wird das Thema gepusht. In Interior-Blogs steht mannshohes Pampasgras in Bodenvasen neben Lounge Chairs, Eukalyptus, Lavendel oder Weizengräsern auf Sideboards. Und gerade auch Brautsträuße aus getrockneten Blüten, hoch im Kurs stehen Schleierkraut und Rosen, erleben einen Boom. Motto: Der Brautstrauß hält für die Ewigkeit. Das stimmt natürlich nicht ganz, trifft aber auch auf viele Ehen zu. Also halb so schlimm.

„Im Trend sind zartes Rosa, Violett, Weiß- und Creme-Töne“

 

 

Was machen dried flowers im Jahr 2020 so faszinierend? Weil man Strohblumen & Co. mit den modisch dauerhaft angesagten 60ern und 70ern in Verbindung bringen kann? Stichwort Boho-Look. Das ist ein Missverständnis. Nicht Räucherstäbchen, Flokati-Teppiche und Samtanzüge gehören zur Blumen-Mumie, sondern vielmehr Faltenrock, Eiche rustikal, Kissen mit Knick, und im Hintergrund dudelt James Last. Einige werden sich noch an ihn erinnern. Vielleicht unterstellt man denen, die es nicht tun, also den Mittdreißigern – viele sind im Wohlstand und ziemlich behütet groß geworden – zu Recht eine neue Biedermeierlichkeit? Homing, Cocooning, Hygge sind schließlich Trends der letzten Jahre, die den Rückzug ins traute Heim beschreiben. Im Grunde verklären sie das „Es-Sich-Gemütlich-Machen“ und ein bisschen auch die in Schönheit erstarrte Langeweile zum Lifestyle. Trockene Blumen passen da doch ganz gut dazu. Auf Instagram ist allerdings eher die Generation Greta aktiv, viel jünger und politisch engagiert. Sie sitzt nicht auf dem Sofa, sondern Freitagnachmittag auf der Straße. Und auch sie liebt die dried flowers und zwar aus einem anderen Grund. Statt Blumen in der Vase welken zu sehen, betrachtet sie die getrockneten Blüten als einen Beitrag zur Nachhaltigkeit. Trockenblumen sparen Wasser, halten auch im heißen Sommer lange, man kann sie selber pflücken und trocknen. Wie das am besten gelingt, füllt viele Blog-Seiten. Eine Expertin in Sachen Trockenblumen ist die Floristin Anja Welz bei Grace Flowerbox. Auf das Thema Nachhaltigkeit angesprochen, gießt sie gewissermaßen etwas Essig ins Blumenwasser. Viele Gräser und Blüten, wie sie gerade gefragt sind, wurden gefärbt oder gebleicht. Genau wie die konservierten Rosen darf man sie durchaus schön finden, ausgesprochen umweltfreundlich sind sie nicht. Zu viel Chemie ist im Einsatz, um die gerade gefragten floralen Effekte zu erzielen. „Im Trend sind zartes Rosa, Violett, Weiß- und Creme-Töne“, erklärt sie und präsentiert puderfarbene Kamillenblüten und gebleichte weiße Ruscus Stängel. Die Färbung wirkt ziemlich natürlich, ist sie aber nicht. Es sind Farben wie aus der Paillette von Farrow & Balls, aus der sich, wer stylemäßig auf der Höhe ist, gerade die passende Wandfarbe aussucht. Den frischen Blumen kann Farbpulver ins Wasser gegeben werden, über das sie die Farbe aufnehmen, oder sie werden nach dem Trocknen getaucht oder besprüht. Ein Palmblatt bekommt, zum Beispiel aus der Dose, güldenen Glanz. Gefärbte Blumen waren, ähnlich wie Trockenblumen, vor kurzem noch ein No-go. In diesen edlen Tönen, kombiniert mit blassen Naturfarben, etwa von Limonium, Statizien und natürlich den sprichwörtlichen Strohblumen, wirken die Sträuße tatsächlich edel und natürlich schön. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass Anja Welz nicht alle Blüten, wie es in der Regel empfohlen wird, kopfüber trocknet, sondern manche in der Vase. Dann beugt sich ein Blütenkopf schon mal anmutig nach rechts oder links, steht der Stängel nicht kerzengerade – und gerade das macht den Charme aus. „Bei so natürlich geschwungenen Blütenstängeln sehen selbst nur zwei oder drei in einer schönen Vase äußerst dekorativ aus. Und sie sind, überhaupt wie alle selbst getrockneten Blumen, tatsächlich nachhaltig“, schwärmt die Expertin. 

Kopfüber, hängend oder stehend in der Vase: Generell empfiehlt es sich, die Blumen in einem dunklen, warmen Raum zu trocknen. So behalten sie ihre Farbe. Der Kontakt mit Feuchtigkeit ist unbedingt zu vermeiden. Der Tipp, mit Haarspray oder Klarlack Glanz zu verleihen, erfüllt seinen Zweck, kollidiert aber zweifellos mit dem Wunsch nach Umweltverträglichkeit und Kompostierbarkeit. 

Trockenblumen im Dürresommer

 
Auch Gabriele Bodnar weiß Trockenblumen zu schätzen. Sie arbeitet unter dem Label Floral Arts seit vielen Jahren als freie Floristin. Die Berliner Filmfestspiele, der Bundestag, Hotels und Büros gehören zu ihren Kunden. Corona hat ihr in diesem Sommer das Geschäft mit frischen Blumen schwer gemacht. Immerhin der Trend zur trockenen Blüte verschafft Aufträge, die sonst gecancelt worden wären. Natürlich müssen auch getrocknete Dekorationen ausgetauscht werden. „Trockenblumensträuße halten eine ganze Weile. Aber sie stauben mit der Zeit ein, irgendwann bröseln sie und werden unschön.“ Neben Arrangements für die Vase macht die Floristin aus getrockneten Blüten, Moos und Ästen, die sie in recycelte Matratzenkerne dekoriert, Raumteiler, die in Interiorgeschäften Wohnwelten trennen oder offene Büros abgrenzen. Aus Birkenzweigen, Agavenblättern, Pampasgras und Baumrinde lässt sie trockene Bäume als Raumschmuck wachsen. Einzelne Blüten in kleinen Vasen, üppige Bouquets oder Raumobjekte: Getrocknete Natur kann also in vielen Formen das Zuhause verschönern. 

Moden sagen etwas über die Zeit aus. Und mehr denn je hängt alles mit allem zusammen. Dass im Dürresommer Trockenblumen gefragt sind, dass das Weiß der Baumwollblüte, das Beige von trockenen Gräsern und die delikaten Farben in Schönheit verblichener Hortensien, Rosen oder Artischockenblüten auch die Herbstkollektionen trendsetzender Modehäuser, wie Bottega Veneta, Jil Sander oder Givenchy, bestimmen, ist kein Zufall. Der Wunsch nach Nachhaltigkeit, nach dem Bewahren und die Abkehr von der Philosophie des „immer schneller“, „immer mehr„ und „immer neu“ zeigt sich in vielen Facetten. Auch darin, dass Vintage Mode genauso im Trend ist wie Vintage Blumen. Dried flowers lassen sich wunderbar mit frischen Blüten – genau wie Vintage Mode und aktuelle Kleidern – mixen. In solchen Kombinationen kommen beide besonders schön zur Geltung. Gerade der Mix ist sogar ganz besonders zeitgemäß.