Stella Jean – Die Weltenwandlerin

 

Stella Jean MenFashion Italien Afrika

Stella Jean
Foto: Andrea Benedetti

Auf den Kleiderständern hängen die Outfits ihrer Kollektion für den nächsten Herbst. In der Mitte des Raums steht ein großer Tisch, Mitarbeiterinnen telefonieren oder arbeiten am Computer, Models probieren an, was sie am nächsten Tag vorführen werden.

Foto: Stella Jean Sommer 2014

Foto: Stella Jean Sommer 2014

In einer Ecke sitzt Stella Jean und gibt Interviews. Sie ist noch kein ganz großer Name in der Welt der Mode, aber doch eine, von der man spricht. 2011 gewann sie den Preis für Designer-Nachwuchstalente „Who is on Next“ der italienischen Vogue, 2013 lud sie Giorgio Armani als Nachwuchstalent ein, in seinem „Teatro Armani“ die Frühjahrskollektion 2014 zu präsentieren. Das ist schon eine besondere Aufmerksamkeit, die einiges bedeutet.

Stella Jean Sommer 2014 Fashion Italien Afrika

Foto: Stella Jean Sommer 2014

Wer weiß, wie prätentiös sich Designerinnen und Designer jedes Bekanntheitsgrades geben können, staunt, wie uneitel und vergleichsweise entspannt die Mutter zweier Kinder, ihr Sohn ist zehn, die Tochter 7 Jahre alt, kurz vor der Schau noch Fragen beantwortet. Stella Jean ist in Rom geboren und aufgewachsen, Tochter eines italienischen Vaters und einer Mutter mit haitianischer Herkunft.

 

Stella Jean Fashion Italien Afrika

Foto: Stella Jean Sommer 2014

 

Wax-Stoffe gelten als Inbegriff des Afrikanischen. Zu Unrecht!

 

Stella Jean Men H/W 2014/ 15 Fashion Italien Afrika

Foto: Stella Jean Men H/W 2014/15

Ihre Kollektionen sind eine faszinierende Verbindung von sogenannten Wax-Stoffen mit niederländisch-afrikanischem Background, italienischer Handwerkskunst und westlichem Modeverständnis. „Ich ‚verabendländlische‘ den afrikanischen Aspekt der Stoffe, die ich verwende“, lacht die Designerin. Wax-Stoffe haben eine faszinierende Historie. Die bunten, wild gemusterten Stoffe, heute so etwas wie der Inbegriff des Afrikanischen, kommen ursprünglich aus den Niederlanden. Die Niederländer wiederum entdeckten das Waxprintverfahren, als sie die Muster indonesischer Batikstoffe kopierten und als Textildrucke industriell herstellten, um sie in der damaligen Kolonie Java zu vermarkten. Der Versuch misslang, die Indonesier bevorzugten ihre eigene traditionelle Handarbeit. Wie die Stoffe Ende des 19. Jahrhunderts über verschiedene Handelswege nach West-Afrika gelangten und das Bild afrikanischer Kleidung prägten, beschäftigt wissenschaftliche Aufsätze. Fest steht: Die farbenfrohen Wax-Stoffe mit den wilden Mustern trafen, wie man bis heute sieht, einen Nerv. Sie sind ein Teil der Kolonialgeschichte, die von den Afrikanern kreativ in ihre Alltagskultur integriert wurde. Immer noch sind die Niederlande Exporteur besonders schöner Wax-Stoffe – „Dutch Wax“ genannt.

 

Stella Jean Men H/W 2014/ 15 Fashion Italien Afrika

Foto: Stella Jean Men H/W 2014/15

 

Nie darf die Mode aussehen wie aus dem Urlaub mitgebracht

 

„Es war als farbige Frau aus einer multikulturellen Familie nicht ganz einfach, im Italien der 80er Jahre aufzuwachsen. Mode ist eine Möglichkeit, die Kulturen, die in meiner Familie zusammenkommen, in eine harmonische Balance zu bringen, sie ist Ausdruck meiner multikulturellen Herkunft und auch von mir selbst“, erklärt Stella Jean ihre Motivation, Kleider zu entwerfen. Vielleicht haben ihre Kollektionen deshalb diese emotionale Kraft. Sie berühren, weil sie neben der Kunstfertigkeit der Schnitte, und trotz der Leuchtkraft der Farben und der wilden Muster, die Stella Jean mixt, eindrucksvoll überzeugend zusammenbringen, was zunächst als unvereinbar erscheint. Sie sind einfach stimmig. „Nichts ist zu grell oder zu fremd, wenn man mit sich selbst harmonisch ist, und das bin ich mit mir. Das versuche ich in meiner Mode auszudrücken und aufzuzeigen, wie Kulturen zusammenkommen können. Der schrecklichste Gedanke ist, dass meine Mode aussieht wie aus dem Urlaub mitgebracht“, der Designerin ist anzusehen, wie sehr sie diese Vorstellung schreckt. „Gentlemans Club“ heißt ihre neue Männerkollektion, die dem britischen Look der 40er Jahre, schicken Anzügen, Smokings und Clubjackets eine faszinierend exotische Anmutung gibt. Sogar die Strümpfe der Herren haben die für Wax-Stoffe typischen Motive. Ihre aktuelle Damenkollektion ist ein Feuerwerk an Ideen: Auch nur ein Teil aus der Stella-Jean-Kollektion, sei es ein Bleistiftrock, ein Shirt, eine Jacke oder Hose, bringt neues Leben in jede Garderobe, empfiehlt etwa die englische Vogue.

 

 

Armani kann Berge versetzen

 

Stella Jean ist eine schöne Frau und hat lange als Model gearbeitet. Das Modemetier war ihr gut bekannt, als sie selbst zu entwerfen begann. „Ich habe viel Zeit in Ateliers etwa mit Anproben verbracht, die Branche war mir sehr vertraut“. Ein Vorbild allerdings hat sie nicht. „Meine Kollektion ist zu sehr von meiner eigenen Geschichte inspiriert, es ist also schwierig, jemand anderes als Vorbild zu nennen.“ Kein Vorbild im stilistischen Sinn, aber ein Förderer ist Giorgio Armani, den Suzy Menkes, die Modekritikerin der International New York Times auf Stella Jean aufmerksam gemacht hat. „Armani war wie eine Segnung für mich. Es ist unglaublich, was er bewegen kann, wie viel internationale Presse zu meiner Schau in seinem Theater gekommen ist. Es ist phantastisch zu sehen, dass alle gekommen waren, nur um meine Kollektion zu sehen. Mit Armani kann man Berge versetzen“.

 

Afrika als modisches Versprechen

 

Stella Jean Men H/W 2014/ 15 Fashion Italien Afrika

Foto: Stella Jean Men H/W 2014/15

Stella Jean ist zweifellos ein modisches Ausnahmetalent, ihre Kollektionen, die in Italien afrikanische und europäische Modetraditionen in Einklang bringen, sprechen aber auch einen modischen Zeitgeist an, der Afrika einmal nicht als armen, bedauernswerten Kontinent sieht, sondern als einen mit großer Zukunft und gewaltigen Chancen. Um Afrika als Versprechen ging es etwa schon in der Luxus-Konferenz, die Suzy Menkes jedes Jahr für die International Herald Tribune organisiert und die zu definieren versucht, was Luxus aktuell bedeutet. Thema 2012 war, welche Zukunft Afrika als Produzent und Konsument von Luxuswaren zukünftig haben wird. Hermès, Fendi, Stella McCartney oder auch Vivienne Westwood ließen schon in Afrika arbeiten, nicht zuletzt, weil afrikanische Handarbeit nicht nur sehr kunstfertig und damit Luxus in einem ganz ursprünglichen Sinn ist, sondern oft auch noch den zusätzlichen ethischen Bonus besitzt, nachhaltig gefertigt zu sein. Die Modeindustrie sieht den afrikanischen Kontinent zunehmend als einen ressourcenreichen, mit großer handwerklicher Tradition und auch einer wachsenden Mittelschicht, die es als Kunden zu gewinnen gilt. Afrikanische Designer beginnen sich einen Namen zu machen. Michèle Obama trug zum Beispiel bei einer Reise nach Südafrika eine Bluse des nigerianischen Labels Maki Oh der Designerin Amaka Osakwe, die ihre Kollektion schon in New York gezeigt hat. Nigeria, speziell Lagos, ist dabei, sich zu einem kreativen modischen Zentrum zu entwickeln. Stella Jean als Mittlerin zwischen den Welten und als eine, die aufzeigt, wie afrikanische Ästhetik im wahrsten Sinne des Wortes ein westliches Gewand bekommen kann, kommt da gerade zur rechten Zeit.