Die Versace Schau für den Sommer 2020 beendete Jennifer Lopez im legendären grünen Jungle Dress, dem die aktuelle Kollektion zum Jubiläum gewidmet ist. Das sexy Kleid mit dem ausgewachsenen Dekolleté hatte die Latino Diva vor 20 Jahren bei den Grammy Awards getragen und für Furore gesorgt. Die Bilder vom Auftritt gingen um die Welt, wie auch jetzt wieder. Google, noch jung, konnte im Februar 2000 den Ansturm der Suchanfragen nicht bewältigen. Das gab letztendlich den Anstoß zur Funktion des Bilder Suchens. Wenn Donatella Versace 20 Jahre später das Kleid, wenn auch in einer Neuauflage, noch einmal über den Laufsteg schickt, könnte man sich glatt fragen, wozu etwas Neues kaufen, wenn man auch im Alten noch Aufsehen erregen kann? Oder ist vielleicht modische Zeitlosigkeit gerade das Thema der Stunde? Schließlich muss die Mode mit ihrem Anspruch, dem Geist der Zeit in Kleidern Ausdruck zu verleihen_auf „Fridays for Future“ und die unüberhörbaren Forderungen nach mehr Nachhaltigkeit und Sensibilität im Umgang mit Ressourcen reagieren, um nicht alt auszusehen. Zeitlose Mode, die nicht in Saisons denkt, ist nachhaltig und damit also eine Antwort auf die Wegwerfgesellschaft. Ein altes Kleid wirkt so gesehen besonders modern.
Von allem viel zu viel
Miuccia Prada, die mit überbordender Kreativität und modischem Übermut in den letzten Saisons alle halbe Jahre ihre Ideen von gestern über Bord warf und überzeugte Fans quasi zwang sich völlig neu einzukleiden, stellt nun fest: Persönlicher Style ist wichtiger als die Kleider und „dass wir sowieso von allem viel zu viel haben“. Um „Timeless Hypness“ ging es deshalb bei ihrer Schau. Sie zeigte Bleistiftröcke, elegant geschnittene Jacken, doppelreihige Mäntel und Sakkos, adrette Blusen, Muschelketten als Accessoires und im Detail viel Materialmix. Zum Strandkleid werden solide Pumps kombiniert, zum Büroanzug eine Makramee-Urlaubstasche. Eine adrette, tragbare, farblich zurückgenommene Kollektion mit 50er Jahre Appeal, die das eine oder andere schrillere Teil vergangener Saisons sicher noch aufpeppen könnte. Ein zeitgemäßer Gedanke. Bei Marni war der Nachhaltigkeitsgedanke vordergründiger, die Kleider deutlich gewagter und aus Bio-Baumwolle. Das tropische Set des Showrooms wurde aus dem Material vergangener Dekorationen gebaut und man saß auf Bänken aus recyceltem Karton. Ekstatische Gefühle und den schön verwirrenden Schwindel einer Tropenkrankheit sollen die Marni Kleider von Francesco Risso im nächsten Sommer erzeugen. Das gelingt mit den kräftigen Farben wilder Malerei, eigenwilligen Röcken, offenen Nähten, langen Silhouetten, Asymmetrien und als Kleidern getarnten Schürzen. Die Kollektion mag experimentell wirken, die Schnitte sind – wie bei Prada – im Grunde konservativ. Es sind vor allen Dingen Reminiszenzen an die 50er und 70er Jahre, die uns Mode heute als zeitlos tragbar erschienen lässt. Zum Kanon gehören etwas Ballon- und Bleistiftröcke, ausgestellte Hosen, Handwerkliches wie eben Makramee und ethnische Einflüsse vor allen aus Afrika, der Wiege der Menschheit. Aus dem großen Fundus der Hippie Ära bedienen sich traditionell Labels wie Etro oder Missoni, zu deren Markenkern quasi ein zeitloser Mustermix gehört. Was ursprünglich ein Stilmix war, ist inzwischen ein zeitlos gültiger Stil. Das gilt auch für Gucci. Der wilde Stil und Mustermix des Designers Alessandro Michele ist nach mehreren Saisons schon zu einer vielleicht das Label etwas einengenden Uniform geworden. Das hat der Designer wohl erkannt und eröffnete die Schau mit einer Gruppe von weißen Zwangsanzügen. Im zweiten Teil waren die Models dann befreit und führten eine reduzierte Variante des Gucci Looks vor. Weniger Muster, mehr Colourblocking. Die 60er und 70er ließen immer noch grüßen.
Kleine Labels für einen individuellen Stil
Generell sind Uniformstyles, spezielle Safari-Looks, sand und olive Töne aber Evergreens lässiger Eleganz. Alle diese Zutaten finden sich_ in verschiedensten Interpretationen in den Mailänder Kollektionen, bei Etro und Missoni mehr die Jet Set Hippies, bei Max Mara trägt 008 Jane Bond Uniform und Krawatte. Dolce & Gabbana starten die Schau mit Safari Looks und enden mit luxuriösen Gewändern, auf denen sich Giraffen, Zebras und ein Kakadu tummeln. Das kleine feine Label Cividini schickt seine Models in Wüstenfarben und zarten Pasteltönen über den Laufsteg. Die fließenden Silhouetten und das transparentes Layerin geben der Kollektion eine abwechslungsreiche Vielschichtigkeit, vielleicht sogar Zeitlosigkeit. Auf dem Laufsteg dabei auch die Berlinerin Pamina Weiss. Sie ist Model, Influencerin und Designerin. In Sachen Nachhaltigkeit sieht sie Berlin, das dem Thema eine eigene Messe widmet, einen Schritt voraus, ansonsten bieten die Italiener der Mode die deutlich größere Bühne. Auch den vielen, hierzulande weniger bekannten aber spannenden Labels wie eben Cividini oder auch Blazé Milan, La DoubleJ oder Vivetta, die sich hier präsentieren. Wenn Mode Ausdruck der Persönlichkeit ist, dann sind es gerade kleine individuelle Modemarken, die es möglich machen, einen eigenen zeitlos nachhaltigen Stil zu entwickeln, in dem vorhandene Garderobe mit interessanten Einzelteilen ergänzt wird. Dank Google kann man sie auch umweltschonend zu Hause entdecken, ohne in den Flieger zu steigen. Das World Wide Web ist eine Chance nicht nur für Versace und Gucci, sondern auch für junge Designer und kleine Firmen in Mailand und Berlin.