Wohin geht die Reise? Die Mailänder Modemacher geben vielfältige Antworten. Bei Emporio Armani zunächst ins Blaue. Der Meister hat die ganze Kollektion seiner Lieblingsfarbe gewidmet und sie blue@ genannt. Kornblumenblau steht im Vordergrund, wird aber ergänzt durch Grau und Weiß in vielen Schattierungen, vielfach gestreift. Eine sportive, frische Kollektion, typisch Armani, auf den Mann ist Verlass.
Seine Hautkollektion Giorgio Armani ist inspiriert von der vulkanischen Schönheit der sizilianischen Inseln Lipari und Stromboli. Grund genug, Armanis berühmtes Greige, diese subtile Mischung aus Grau und Braun vielfältig in Szene zu setzen und für den Abend die Nuancen bis hin zu Champagner zu erweitern. Mit den typischen Armani-Blazern in verschiedenen Varianten und antikisierend drapierten Abendkleidern in Nudetönen behauptet der 81-Jährige seine Rolle als Patriarch der italienischen Mode
Marktfrauen und Flamencotänzerinnen
Etwas weiter in die Ferne, nämlich nach Haiti, führte gleich am ersten Tag die Schau von Stella Jean, einer Newcomerin, deren farbenfrohe Kollektionen in den letzten Saisons Aufsehen erregt haben. Mit großem Sinn für Farben, Formen und Proportione mischt sie Muster und Stile. Bekannt wurde sie durch ihren souveränen Umgang mit den farbenfrohen afrikanischen Wax-Stoffen, die sie unbekümmert einsetzt, um daraus etwa Tellerröcke mit Fifties-Flair zu schneidern, die sie kühn mit Vichy-Karos kombiniert.
Für den Sommer 2015 geht sie zu ihren Wurzeln. Die Italienerin mit haitianischen Vorfahren entdeckt nämlich das bunte Treiben der Märkte auf der Karibikinsel als Inspiration für ihren aktuellen Mustermix. Basketballshirts mit großen Zahlen und Port-au-Prince-Aufdruck kombiniert sie etwa zu schmalen bunten knielangen Röcken. Auf ihren Stoffen tummeln sich Esel, Marktfrauen oder auch die Busse, mit denen sie zum Markt gelangen. Gefertigt wird die Kollektion nachhaltig und fair in Afrika. Jedes Teil ihrer Kollektion ist ein Hingucker und kann dem Kleiderschrank einen neuen Kick geben. Nicht zu übersehen sind auch Frauen, die Dolce & Gabbana tragen. Für nächsten Sommer heißt es „Ole“ für sie. Der Blick der Designer Blick richtet sich nach Spanien, Carmen ist ihr Modell mit roten Rosen im Haar, schwarzer Spitze und Flamencoröcken.
Schönheit ist kein Wert an sich
In der Mode sind auch Zeitreisen möglich und ein bewährtes Mittel, auf Entdeckungsfahrt zu gehen. Stefano Pilati, ehemals Designer bei Yves Saint Laurent, geht sogar zurück bis ins alte Ägypten. Ganz weiß wie die Kleider damals sind viele Teile der Kollektion aus edelstem Seidenkaschmir und feinstem Leder. Es heißt, der Faltenrock stamme aus Ägypten, Pilati nimmt das zum Anlass, ihn zu interpretieren – und auch der breite Goldschmuck der Pharaonen hat es ihm angetan. Die breiten Schnallen auf den Schuhen und die breiten goldenen Armbänder zitieren altägyptische Pracht genauso wie die Silhouetten der Kleider und Jacken, die an Darstellungen aus jener Zeit erinnern. Fausto Puglisi, Liebling der Stars von Rihanna bis Cate Blanchett, arbeitete mit Madonna für ihren Super-Bowl-Auftritt zusammen. Für den Sommer war das antike Rom eines seiner Inspirationsquellen, etwa für eine moderne Variante des Gladiatorenhemdes. Nicht ganz soweit zurück, aber immerhin bis ins 18. Jahrhundert und von dort aus bis in die 50er Jahre, schaut Miuccia Prada, die mit Brokat experimentiert und ihn für das Jahr 2015 auf die modische Agenda setzt. Patchwork ist ihr Thema und Materialerkundung, die Kombination von rauem Leinen mit feinsten Seiden etwa, vieles bleibt ungesäumt. Miuccia Pradas Thema ist immer der Umgang mit Schönheit, die für sie kein Wert an sich ist, sie aber offensichtlich fasziniert. Mit dieser Kollektion bekennt sie sich ausdrücklich zum Schönen, lässt es aber vielfach unfertig wirken, bricht die Schönheit, um ihr modische Tiefe zugeben. Die Kollektion ist wieder Ausdruck ihres andauernden Prozesses der Beschäftigung mit dem, was Kleidung heute und früher bedeutet. Wer nicht jedem ihrer Gedankengänge folgen kann oder möchte, kann sich guten Mutes damit begnügen, dass ihre Kollektionen immer sehenswert und inspirierend sind.
Flower Power – das ewige Comeback der Siebziger
Ein Jahrzehnt, das wohl als Füllhorn der Mode gelten darf und die Schöpfungskraft der Designer immer wieder herausfordert, sind die 70er Jahre, die in Mailand erneut ein Comeback feiern. Burgunderrot, Senfgelb, müdes Braun, lange Kleider, wadenlange schwingende Röcke fehlen in kaum einer Kollektion. Gucci, Max Mara, Just Cavalli und Cavalli zitieren die 70er ganz explizit, andere dosierter. Die 70er stehen für Flower Power, eine gewisse Leichtigkeit, und auch für die Jahre, in denen die italienische Mode ohne Angst vor Krisen optimistisch in die Zukunft sah. Seemannshosen mit Schlag, kaum knöchellang, dazu Jacken, ausgeliehen von der Marching Band, der marschierenden Blaskapelle also, zeigt Gucci. Wildleder, Seide für Tuniken und Blusen, asiatisch Muster gaben der ganzen Kollektion einen Edel-Vintage-Look. Mit Blumenprints auf Regenhüten, wadenlangen schmalen Kleidern und auch den dazugehörigen Stiefeln präsentierte Max Mara einen Total-Blumen-Look, der ein bisschen schwindlig machen konnte, aber durchaus Reiz hat.
Ärmel aufgekrempelt
Modisch den Blick nach vorne richten zwei ganz unterschiedliche Labels und treten damit die Reise in die Zukunft an. Versace präsentierte eine Kollektion, die genau so sexy war, wie Versace sein muss, aber nie so explizit, wie manches, was dort in den vergangenen Saisons auch schon über den Laufsteg ging. Die kurzen Kleider und Röcke in kräftigen Farben und klaren Silhouetten machen Lust auf Versace. Den Spaß kann man sich gönnen. Bei Jil Sander hat im wahrsten Sinne des Wortes ein neuer Designer die Ärmel hochgekrempelt. Rodolfo Paglialunga ist es mit seiner ersten Kollektion gelungen, Jils Sanders puristischem Minimalismus eine unprätentiöse jugendliche Frische zu geben, ohne die Historie des Hauses zu verleugnen. Hemdblusen, Pullunder, Hosenröcke, Mosaikmuster und immer wieder hochgekrempelte Ärmel für seinen Studentinnenlook zeigen, dass der Name Jil Sander und ihr Geist auch ohne das Mitwirken von Namensgebern Potential haben, sich weiterzuentwickeln.Was bleibt in Erinnerung von dieser Mailänder Saison, was sind die It-Pieces im nächsten Sommer? Sportshirts mit großen Zahlen zum Beispiel, Pullunder, Streifen, die in so gegensätzlichen Schauen wie von Armani, Madras bis zu Marni immer wieder auftauchten, und die langen Silhouetten: bis zu den Knöcheln reichende Röcke und Kleider. Schon seit einigen Saisons versucht die Mode, sie an die Frau zu bringen, mit mittelmäßigem Erfolg. Die Mailänder Modemacher geben nicht auf.