Trendreport Paris Sommer 2020 – Mode Politik

Sie habe mehr Fragen als Antworten, bekennt Maria Grazia Chiuri, Chefdesignerin von Dior nach der Schau. Auch in Paris wollen oder müssen sich – wie eine Woche vorher schon in Mailand – die Modemacherinnen den großen Themen der Gegenwart stellen. Politische Umbrüche und die Klimakatastrophe verlangen modische Reflexion. In Mailand war die zentrale Trend-Botschaft, angemessen ist zurzeit zeitlos schöne Kleidung, die die Saison überdauert. Das ist ein Widerspruch zu allem, für das die Modewelt steht. Maria Grazia Chiuri ist das bewusst. In Paris sind die Antworten, nicht nur bei Dior, denn auch vielfältiger, die Kollektionen nicht einfach klassischer und damit auf pragmatische Art und Weise nachhaltig. Viele wollen eine Botschaft transportieren. Bei Dior beginnt das schon beim Setting der Show. 164 Bäume, die Wurzelballen von einem städtischen Landschaftskollektiv, in Sackleinen verpackt, werden nach der Schau genutzt, um in der Pariser Region unbewaldete Gebiete aufzuforsten. Eine feministische Perspektive ist seit Chiuris Antritt bei Dior vor drei Jahren schon fast ein selbstverständliches Accessoire jeder Kollektion. Diesmal war Catherine Dior, die tapfere Schwester des Designers, ihre Muse. Die Widerständlerin Catherine saß wegen ihres politischen Engagements im KZ und war danach eine der ersten Frauen, die eine Lizenz für den Großhandel mit Blumen besaß. Auf seinem Landsitz „La Colle Noir“ in der Normandie betrieb Christian Dior mit der Schwester nämlich auch einen landwirtschaftlicher Betrieb, wo er Duftrosen, Jasmin und Wein anbaute, für deren Vertrieb sie verantwortlich war. Die rustikaleren der Modelle, die blauen Herrenhemden, die gestreiften kurzen Hosen und Jacken mögen von Catherine und ihrer Gartenkleidung inspiriert sein. Disteln, Mohnblumen, Wildblumen oder Rosen – den Malereien der deutschen Naturforscherin und Künstlerin Maria Sybilla Merian aus dem 17. Jahrhundert nachempfunden – wiederum machten viele der langen fließenden Kleider quasi zum Blumenbeet. Accessoires wie die geflochtenen Basthüte, die Espadrilles, die Canvastaschen und die Greta-Thunberg-artigen Zöpfe taten das Übrige, um Dior ökologisch wertvoll aussehen zu lassen. Dass die beigen Stoffe wie von der Sonne ausgeblichen wirkten, kann, wer mag, auch als einen Hinweis auf extreme Sommer sehen. Bei Alexander

 

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Wie an die Mode der nächsten Saison herangehen?

 

McQueen upcycled Sara Burton Tüll, Seide und Spitze alter Kollektionen, druckt gefährdete Blumen auf Sommerkleider und verarbeitet Leinen aus Nord Irland. Eine romantisch schöne, nachhaltige Schau. Am Ende treten alle, wirklich alle, Mitarbeiter von McQueen mit auf den Laufsteg. Ein Appell an Zusammenarbeit und dafür mehr Zeit miteinander zu verbringen. Seine mexikanische Großmutter war die entscheidende Influencerin der Rick Owens Show. Unverkennbar allerdings auch die Inspiration von Fritz Langs Film Metropolis, der bekanntermaßen eine düstere Zukunft beschreibt, in der die Armen völlig getrennt von den Reichen in einer düsteren Unterwelt leben müssen. Owens, in den USA aufgewachsen, lebt in Frankreich und lässt seine Kleider in Italien herstellen. Dass das nicht ohne offene Grenzen funktionieren würde, ist sein indirekter Kommentar etwa zu Mauerplänen an der mexikanischen Grenze. Die Plateauschuhe, die extremen Schulterformen, die Drapierungen und Volumen ließen die Models wie außerirdische Göttinnen aussehen, deren aztekische Vorfahren wohl einst auf der Erde gelebt haben müssen. Vermutlich mussten sie – nach der Klimakatastrophe? – ins All emigrieren. Auch der Belgier in Paris, Dries van Noten, macht sich Sorgen um die Zukunft. Als er über die Kollektion nachdachte und die Zustände auf der Welt, „Trump, Johnson, die Brände in Brasilien“ zuschrieb, gab es für ihn nur zwei Möglichkeiten, an die Mode der nächsten Saison heranzugehen: grau und grimmig oder Mode als eine Art Heilung zu betrachten. Für letzteres entschied er sich und erinnerte sich an die Couture der 80er und 90er Jahre und vor allen Dingen auch an Christian Lacroix, dessen Schauen damals für Schönheit, Freiheit und modischen Über standen. Lacroix hatte sich 2009 von der Mode verabschiedet. Aber eine Mail genügte, die Designer trafen sich und vereinbarten eine einmalige Kooperation für die Saison. Herausgekommen ist eine prachtvolle Sommerkollektion, die das Beste der beiden vereint. Dries van Noten ist zwar auch ein Könner der Dekoration, gilt aber als Belgier aus dem Norden eher als Verfechter einer tragbar minimalistischen Mode, Lacroix hingegen aus dem Süden Frankreichs stammend, als ein Maximalist der Prächtigkeit. Die Schau zeigte auf phänomenale Weise, wie sich aus Gegensätzen etwas wunderbar Harmonisches entwickeln lässt, wenn man denn dafür offen ist. Könnte das nicht auch an anderer Stelle Schule machen? Zebradrucke, Flamenco-Röcke, reich bestickte Torero-Jacken, simple Tank Tops zu ausladenden Röcken, lässige Oversized Pullover zu Chiffonwolken. Die Modemänner van Noten und Lacroix haben Paris überrascht, euphorisiert und gezeigt, was Kooperation zu rechten Zeit möglich macht.

 

Der Chic der Biederkeit

 

Weniger prächtig, aber irgendwie auch politisch war das „modische Parlament“, das Demna Gvasalia bei Balenciaga auf den Laufsteg schickte. Power-Dressing war sein Thema in einer Parlamentskulisse in EU Blau. Keine Frage, dass hier auf den Brexit angespielt wurde. Dass die britischen Journalisten ganz am Rand saßen, wurde nicht als zufällig empfunden. Auf dem Laufsteg trugen übrigens auch zwei Berlinerinnen die übergroßen Businessanzüge und die an Denver Clan Zeiten erinnernden Powerlooks vor: Nadja Auermann und die Kunstsammlerin Karen Boros. Die 90er Jahre als Zeit, in der die Freiheit der Mode grenzenlos schien, und immer wieder auch die Looks der Glamour Hippies sind für viele (Pariser) Designer Inspiration ihrer aktuellen Kollektionen. Valentino experimentiert mit Volumen, Yves Saint Laurent mit Disko Glamour, Chloe und Celine entdecken den Chic der Biederkeit. Der nennt sich jetzt zeitlose Mode. Chanel in einer Kulisse „über den Dächern von Paris“ sieht aus wie Chanel. Auch das ist ganz auf der Höhe der Zeit. Nämlich eben auch zeitlos.

 

Titelbild: Miu Miu Sommer 2020