Mode ist immer auch eine Reaktion auf die Weltlage. Ihre aktuelle Antwort lautet: Immer schön ruhig bleiben.
Panta rhei, alles fließt, ist in Bewegung. Der Satz, der dem griechischen Philosophen Heraklit zugesprochen wird, gilt in besonderer Weise auch für die schönste Nebensache der Welt, die Mode. Es ist geradezu existenziell für sie, regelmäßig die Richtung zu wechseln. Das gilt auch für die bevorstehende Herbst- und Wintersaison. Es scheint allerdings, als ob es eine modische Bewegung gegen den Strom gibt. Das Weltgeschehen ist so voller Ereignisse – Klimawandel, künstliche Intelligenz, nicht zuletzt Kriege -, dass die Mode gewissermaßen „zurück auf Los“ zu rufen scheint. Es schwingt Nostalgie mit in den aktuellen Kollektionen, das Bedürfnis nach heiler Welt, Schönheit, Ruhe und Beruhigung. Am deutlichsten wird das in den Neuinterpretationen des New Look von Dior aus den späten 40er- und 50er-Jahren. Schmale Taille, schwingende Röcke, wirken überraschend modern, kleidsam und vertraut. Einfach gut aussehen, nicht unbedingt auffallen ist die Leitlinie vieler Kollektionen, zwingend dazu gehören Anzüge und Kostüme. Vieles für die Damen könnten aus der Herrenschneiderei kommen, auch die eine oder andere Krawatte ergänzt ein Outfit. Womit wir beim zweiten Thema sind, das bei den Männerkollektionen noch augenfälliger ist: das Aufheben der Vorstellung von dem, was nur die Damen und nur die Herren zu tragen haben. Es geht nicht darum, dass Männer sich wie Frauen kleiden oder Frauen wie Männer, sondern dass sich beide aus der Vielfalt der Kleidungsmöglichkeiten bedienen können. Auch das ist keine modische Revolution, sondern alles schon mal da gewesen. Im 17. und 18. Jahrhundert kleideten sich Männer und Frauen von Stand gleichermaßen aufwendig und prächtig geschmückt.
Die Farben? Viel Beige, Schwarz und als Stimmungsaufheller leuchtende, aber nie schrille Farbtöne. Neben den dunklen und den soften Farben wirken kräftig rote Kleider oder Mäntel wie ein Ausrufezeichen.
Modernität, „Neuheit“ entsteht durch den großzügigen Umgang mit Stoff, oversized Looks haben schon den Sommer geprägt, die kalte Jahreszeit gibt noch mehr Möglichkeiten, mit dem Thema zu spielen.
Individualität und innere Werte
Mode soll dabei helfen, Persönlichkeit auszudrücken, in diesem Sinne gibt es längst keine Modeverbote mehr, nur Angebote. Bestimmte Themen, Schnitte, Farben, Accessoires fallen in der Saison 23/24 immer wieder auf, Mini-Bras etwa, die die Models auch in den kalten Monaten unter Sakkos oder Blusen tragen. Karos sind häufiger zu sehen. Sehr große Schleifen, auf der Brust oder am Kragen platziert, gefallen den Designer:innen. Röcke schwingend oder in Bleistiftsilhouette feiern – wieder mal – ein Comeback.
Der Einfluss der Sportmode geht zurück, Workwear-Elemente werden wichtiger. Viele Taschen, kuschlige Stoffe, neue Sakko-Varianten, großzügige Schnitte zeichnen die Kleider für den Mann in diesem Winter aus. Das sogenannte Comfort-Dressing, balanciert Bequemlichkeit und Angezogenheit aus. Absolute It-Pieces für ihn sind überlange weite Mäntel und überlange weite Hosen. Eine Wiederentdeckung für die Party ist die Smokingjacke, die allerdings lässig, etwa mit T-Shirt, kombiniert wird.
Im Sinne der Nachhaltigkeit betonen viele Designer die Zeitlosigkeit ihrer Entwürfe. Kleidung in höchster Materialqualität, möglichst aus fairer und nachhaltiger Produktion soll durchs Leben begleiten. Verantwortlich einkaufen, auf Fast-Fashion verzichten ist ein Zeitgeist-Thema und en vogue. Dieser sogenannte Quiet Luxury ist allerdings auch oft besonders teuer.
My home is my castle
Ähnlich wie in der Kleiderbranche geht auch der Trend für das Zuhause nicht in eine schrille, exzentrische Richtung. Die wichtigsten Trends der letzten Jahre werden fortgeschrieben, sind aber im Detail noch prägnanter. Sofas, Sessel, auch Regalsysteme sind organisch knubbelig. Fellige gewebte Stoffe, Flokati-Teppiche wirken gemütlich: Formen und Materialien erinnern an die Formgebung der 70er-Jahre. Vieles dreht sich um Ruhe, um Komfort, um lässig elegante Ambiente, die geschmackvolle Rückzugsorte bilden. Beige, Greige, Weißtöne, pudriges Gelb, Rosa, Terrakotta verbreiten Optimismus und mitunter mediterranes Urlaubsfeeling. Wie in der Mode, taugt leuchtendes Rot als Hingucker.
Licht spielt im Interior-Design eine immer wichtigere Rolle. Lichtplaner:innen, die Hand in Hand mit Architekt:innen arbeiten sind gefragte Spezialisten. Gläserne Kugelleuchten in verschiedenen Größen und Farben sind ein Trend. Auffällig ist auch die Auswahl rein dekorativer Lampen, die mehr Kunstobjekte sind als Leuchtkörper. Sie verleihen einem Raum Atmosphäre und sind Eyecatcher. Immer größer wird das Angebot an kleinen aufladbaren Tischleuchten, die drinnen und draußen variabel eingesetzt werden können. Der Klimawandel beeinflusst auch das Design. Immer mehr Möbel sind für drinnen und draußen geeignet, auch die Mode befreit sich vom Saisongedanken.
Aufwendige Inszenierungen rund um das Thema Home-Spa unterstreichen den Trend „My home is my castle“. Luxuriöse Badarmaturen, Wasserfall- und Nebelduschen, elegante Badewannen, Whirlpools und Designer-Saunen für den privaten Bedarf gönnt sich, wessen Einrichtung sonst schon alle Wünsche erfüllt. Etwas ganz Besonderes sind zum Beispiel die aus echtem Bambus gefertigten Wasserhähne des Herstellers Gessi, die bewusst an die Handtaschengriffe begehrter It-Bags erinnern. Jede Armatur ist ein Unikat, da kein Bambus dem anderen gleicht. Das feine Klickgeräusch beim Anstellen des Wassers gehört zum Design – ein Beispiel für diskreten Luxus im Interieurbereich. Wie die Bambus-Armaturen, bringen auch die vom argentinischen Designer Cristián Mohaded für Loro Piana Interieurs entworfenen Sofas und Sessel die Natur ins Haus. Sie erinnern an Steine. Beim Anfassen erweisen sie sich dann als wunderbar weich. Zu erwerben sind sie nur auf Anfrage. Der Drang zum Individuellen, am besten speziell Angefertigten, ist im High-End-Bereich, ob Mode oder Interior-Design, spürbar.
Die Freiheit, sich im eigenen Style auszudrücken, ist wichtiger als der Trend. Der setzt auf Komfort und so etwas wie „den guten Geschmack“. Gut möglich, dass es sich dabei um die Ruhe vor dem Sturm handelt. Alles ist in Bewegung, panta rhei. Die Sorge, dass nichts bleibt, wie es war, kann erst mal dazu führen, Sicherheit im Bewährten zu suchen, bevor sich das wirklich Neue Bahn bricht.