Dazu gibt es Kräutertee oder Malzkaffee. Ich bin in der Buchinger-Klinik am Bodensee zum Fasten: eine Pilgerstätte für Fastengläubige, die im Vergleich zu den Wellness-Palästen, die landauf, landab entstanden sind, ohne Glamourfaktor den Anspruch hat, die Tradition des typisch deutschen Kurbetriebs auf modernstem Wissensstand aufrechtzuerhalten. Eine Freundin hatte mir im Vorfeld erzählt: „Jeden Tag habe ich wieder gehofft, dass sich eine Karottenscheibe in meine Brühe verirrt hat“.
Ein Kollege berichtete von Mundgeruch. Meine Nachbarin hat in der Dependance in Marbella gefastet. Sie war begeistert: „Die zehn Kilo zu viel, nachdem ich mit dem Rauchen aufgehört hatte, war ich danach los.“ Und ich? Ganz ehrlich, ein paar Kilo weniger wären schön. Ein bisschen innere Einkehr täte mir auch gut. Es gab viele gute Gründe zu fasten, und jetzt habe ich Angst. Ich esse nämlich sehr gern. Essen strukturiert so schön den Tag. Pünktlich gegen eins bekomme ich Hunger, und wenn dann nicht möglichst schnell zum Beispiel ein leckerer Pasta-Teller vor mir steht, folgen Kopfschmerzen und schlechte Laune auf dem Fuß.
Fastende Menschen – übrigens auch Pinguine – neigen dazu, sich zu unterstützen
Schon seit einer Woche hatte ich jede Mahlzeit gewissermaßen als Henkersmahlzeit betrachtet und mir deswegen großzügig einen Nachschlag erlaubt. Jetzt zieht sich die Schlinge zu. Ab morgen stehen nur noch Tee, etwas Honig, Saft und Brühe auf meinem Speisezettel. Wenn ich ganz ehrlich bin, allein der Wille, Pfunde zu verlieren, lässt mich hoffen, dass ich die nächste Woche durchhalte.
Tatsächlich sollte es beim Fasten aber nicht in erster Linie um das Abnehmen gehen. Auch wenn ich nicht der Einzige bin, für den das der Antrieb ist. Fasten hat eine spirituelle, eine mitmenschliche und selbstverständlich medizinische Dimension. Das Fasten dient der eigenen Gesundheit und kann, wenn man denn dafür offen ist, auch eine körperliche Form des Gebets sein. „Wenn einer nichts zu geben hat, faste er und bringe seinen Brüdern das, was er an jenem Tag ausgegeben hätte“, lehrt ein altchristliches Weisheitsbuch. Es geht aber nicht nur um Almosen: Geben in einem weiteren Sinn kann auch die erhöhte Wahrnehmung des Anderen bedeuten, die mit dem Verzicht auf Essen einhergeht. Fastende Menschen, und übrigens auch Pinguine, neigen dazu, sich zu unterstützen. „Man erlebt hier wirklich die unterschiedlichsten Patienten“, erfahre ich von meinem Arzt während der medizinischen Untersuchung, die dem Fasten vorausgeht. „Es ist sogar einmal einer mit einer Kiste Weißbier im Kofferraum vorgefahren und war dann einigermaßen enttäuscht, dass die da auch bleiben musste.“ Es gibt Gäste, für die das Fasten ein Punkt auf ihrer To-do-Liste ist, um sich körperlich für ihren täglichen, meist beruflichen Stress wieder fit zu machen. Spirituellere Persönlichkeiten suchen im Fasten eine Art seelischer Erleuchtung, anderen hilft es, einen Trauerfall zu verarbeiten. Für jeden soll es am Ende Ruhe, innere Reinigung und Entspannung bringen.„Am Ende werden Sie sich toll fühlen“
„Wenn Sie sich Kräuter auf die Suppe geben lassen, kauen Sie sie nicht“, rät mit eine ältere Dame, die mir schon ein paar Fastentage voraus ist. „Vom Kauen bekommen Sie Hunger“. Die Kräuter auf der Suppe sind ein Teelöffel voll Petersilie. Der Verzicht aufs Kauen fällt nicht schwer. Das notwendige Abführen mit Glaubersalz, oder etwas weniger drastisch mit einem geeigneten Medikament, ist auch zu überstehen. An Tag eins gluckert es in meinem Magen und – natürlich – ich habe Hunger, aber weniger schlimm als gedacht. Und das ist der Vorteil, wenn man nicht zu Hause fastet, ich bin von fürsorglichen Schwestern umsorgt und von Menschen umgeben, die auch nichts essen. Die Allermeisten hier sind Wiederholungstäter, haben schon dreimal und öfter gefastet. Es ist ein internationales Völkchen, das zum Hungern an den Bodensee fährt und mir Mut macht. „Am Ende werden Sie sich toll fühlen“, versichert mir ein libyscher Geschäftsmann während einer der täglichen geführten Spaziergänge. Wir werden sehen, gerade fühle ich mich etwas schwach auf den Beinen. Grundsätzlich allerdings muss ich mir sagen, mein Fasten hier ist schon die softe Variante.
Dr. Otto Buchinger selbst hat sich noch ganz anderen Behandlungen ausgesetzt. Um seiner Gelenkschmerzen Herr zu werden, trank er vier Wochen lang nur Wasser: das bis dahin übliche Wasserfasten. Seine Methode aus den 20er Jahren, die aus täglich einem Viertel Liter Saft und Brühe, einem Schälchen Honig und mindestens drei Litern Wasser und Tee besteht, ist da vergleichsweise angenehm. Zum Prinzip gehören noch tägliche Leberwickel und alle zwei Tage Einläufe. Eine Aussicht, die mich die ersten zwei Tage beunruhigt. Wenn man sich dann aber darauf einlässt und im wahrsten Sinne des Wortes entspannt: Es gibt Schlimmeres. Spätestens an Tag vier soll das Hungergefühl verschwinden, wird mir immer wieder versichert. In meiner zweiten Nacht träume ich sehr ausführlich von einem üppigen italienischen Vorspeisenteller.
Zwei Kilo runter. Meine Laune steigt sprunghaft
Also, dass sich am vierten Tag der Hebel umschaltet und ich nun nicht mehr ans Essen gedacht hätte, kann ich nicht behaupten. Aber ich habe auch keinen Heißhunger wie sonst oft. Ich nehme an einer Veranstaltung zum Thema ‚Das Idealgewicht‘, in der ich den Begriff „summender Hunger“ kennenlerne. Das ist jener Zustand, bei dem man Lust auf Schokolade hat, sich aber zusammenreißt, einen Apfel isst, dann einen Joghurt, später Nüsse und am Ende doch bei Schokolade landet. Tipp der Ernährungsberaterin: lieber gleich zwei Stückchen Schokolade. Irgendwie habe ich das Gefühl, mein Körper hat sich auf Null-Diät eingestellt, und ich nehme nicht ab. Panik! Ich bekomme richtig schlechte Laune und möchte am liebsten abfahren. Das nennt man Fastenkrise – muss man durch. Ich beginne morgens auf dem Crosstrainer zu laufen. Man ist schon etwas geschwächt, die Bewegung tut einem aber gut, der Kreislauf kommt in Gang. Bewegung gehört zum Fasten. Auf unserer täglichen Wanderung verrät mir eine nette Leidensgenossin, dass sie heimlich abends eine Zigarette auf dem Balkon rauche, eine andere, dass sie Kaffee trinken gewesen sei. Kleine Geheimnisse schweißen uns zusammen. An Tag fünf lasse ich mich das erste Mal wiegen: zwei Kilo runter. Meine Laune steigt sprunghaft.
Der Hunger ist kein Problem, Appetit bleibt, aber hier gibt es ja keinen Kühlschrank, in dem man suchen könnte. Das ist das Gute. Die nächsten Tage verlaufen angenehm erholsam. Ich lasse mich massieren und lerne zu genießen – ohne Pasta und ein Gläschen Wein am Abend. Erstaunlich, wie wenig der Magen knurrt.
Für einen Kurschatten reicht die Energie nicht
Nach einer Woche: Fastenbrechen. Statt Saft gibt es mittags Apfelmus und eine (!) Nuss. Abends eine vergleichsweise kräftige Kartoffelsuppe. Ich hätte sie jetzt gar nicht gebraucht. Eine Woche Fasten ist sowieso Minimum. Andere machen das drei Wochen lang. Die nächsten Tage heißen Aufbautage, und ich genieße die hervorragende kalorienreduzierte Vollwertküche, nehme an einem Kurs teil, in dem mir gezeigt wird, wie ich selber so lecker leichte Gerichte herstellen kann, gehe wandern und lasse mich massieren. Mit Koch, Fitnesstrainer und Masseur im Hintergrund ist es entschieden leichter, in Form zu bleiben. Am Ende reise ich drei Kilo leichter ab und fühle mich definitiv erholt. Und weil ich wiederholt gefragt wurde: Für einen Kurschatten reicht die Energie nicht auch noch. Während des Fastens bleibt man am besten bei sich selbst.