Winter 2018 – Fashion Diversity

Altweibersommer bei Chanel. In einer täuschend echten Waldkulisse liefen die Models nicht über einen Laufsteg, sondern durch Laub. Blätter wirbelten umher und harmonierten farblich mit den Orange-, Magenta- und Lila-Töne des berühmten Chanel Tweed. Lange ausgestellte Blazer, bodenlangen Röcke und Strickkleider, zu denen beeren-ähnliche Halsketten kombiniert waren, interpretierten das Thema Natürlichkeit à la Chanel. Für Lagerfeld war die Kulisse eine Erinnerung an seine Kindheit auf dem Land. Vielfalt ist ja das soziolgisches Thema momentan. Die Mode bespielt es auf ihre Weise. Diktaturen scheinen zwar an Attraktivität zu gewinnen, die Designer setzen Fashion Diversity dagegen. Vieles hat nebeneinander seine Recht. Ländliche Waldspaziergänge genauso wie durchgemachte Nächte in Berlin. Geradewegs in die Stadt – und zwar eben genau nach Berlin – führte die Givenchy Schau. Ausdrücklich nannte die Britin Clare Waight Keller das besondere Berlin-Gefühl als Inspiration. Dazu gehören für sie nicht endende Nächte, Spionagegeschichten und das nächtliche Rattern der S-Bahn. Der Soundtrack der Schau war damit unterlegt. An Berlin als Modestadt fasziniert also immer noch die eigentlich unmodische, die raue Seite der Stadt und ihr schillerndes Nachtleben, das seit den 20er Jahren legendär ist. Und wenn man dann in den frühen Morgenstunden aus einem Club kommt, kann es ja nicht schaden, sich einen Mantel überzuwerfen. Aber ausgerechnet einen Pelzmantel übers Négligé-Kleid – in Berlin? Die beeindruckenden Pelzmäntel, die die Schau eröffneten, waren allesamt immerhin nicht echt. Und die Looks von den glänzenden Lederjacken, Westen und Mänteln bis zu den kantig geschnittenen Kleidern und Mänteln, so berlinerisch cool und gleichzeitig chic, wie es vielleicht nur eine Engländerin in Paris hinbekommt. Bei Dior – pariserischer geht es nicht, aber mit einer Italienerin an der kreativen Spitze – ging es nicht um Coolness oder eine dem modischen Brutalismus verpflichtete Ästhetik, sondern ganz eindeutig um die Studentenproteste von 1968. Deren 50jähriges Jubiläum steht ja an. Häkelkleider, Patchwork und ein Laufsteg mit Parolen, wie „Achtung Meinungsfreiheit“, machten klar, wohin die Reise geht. Die Schau eröffnete ein Model in kariertem Hosenrock mit weißem Strickpullover auf dem „C’est Non Non Non et Non“ geschrieben war. In Kurzform: „Nein heißt Nein“, womit die Me-Too-Debatte unübersehbar auf dem Laufsteg gelandet ist. Designerin Maria Grazia Chiuri hat aus Dior ein fast feministisches Label gemacht, schon bevor die Debatte begann. Clogs und Ponchos, die Kapitänsmützen, aber auch Cocktailkleider und durchsichtige Looks, etwa die roten Chiffon-Kleider, zeigten eine in jeder Beziehung selbstbestimmte Frau. 1966 übrigens, das war auf einem der Collagen-Fotos zu sehen, demonstrierten Frauen vor der Dior Boutique in Paris für Miniröcke. Die bot Dior damals nicht an. Das Haus nahm die Anregung dankend und umgehend auf.

Me-Too-Debatte und Fashion Diversity sind unübersehbar auf dem Laufsteg gelandet

 

 

Die zweite Kollektion des Italieners Anthony Vaccarello für Yves Saint Laurent 2018 bestand eigentlich nur aus Miniröcken oder Hotpants, und zwar aus schwarzem Leder. Empfindsame Gemüter könnten diese Party-Mode für Rich Kids durchaus sowohl für sexistisch als auch altersdiskriminierend halten. Jenseits der 25 war kein Look tragbar. Für die enge Alterskohorte zwischen volljährig und Mitte Zwanzig wird sie aber – zumindest wenn sie oder er die explizite Inszenierung von Sexyness nicht als unangemessen empfindet – sicher attraktiv sein. Das schwarze Leder, die schmalen Jeans und Sakkos für die Jungs und auch die drapierten Kleider, die Federn und die Blumendrucke, die am Ende doch noch ein wenig Farbe ins Spiel brachten, waren ohne Frage spektakulär. Genauso wie die ganze Schau unterm Eiffelturm. Wenn sich auch bemängeln ließe, dass im Kunstnebel und Lichtgewitter viele Kleider nur schemenhaft zu erahnen waren. Aber in den Clubs, in denen sie vermutlich getragen werden, wird das ja nicht anders sein. Zu den viel beachteten Schauen in Paris gehört auch die von Valentino. Wie bei Saint Laurent will die Mode hier nicht Botschafterin politischer Anliegen sein, sondern genügt sich darin, ästhetische Signale auszusenden. Bei Valentino geht es nicht um Sexyness, sondern um Eleganz und Romantik. Riesengroße Blütenmotive, Waldblumen, Orchideen oder Mohnblumen schmückten Abendkleider in Pastelltönen, aber auch in kräftigen Pink- oder Grüntönen. Wenig Haut, dafür viele Kopfverhüllungen. Nicht auszuschließen, dass vor dem geplanten Börsengang, der arabische Raum noch mal für sich gewonnen werden soll. Eine im wahrsten Sinne des Wortes majestätische Schau, die auch der Farah Diba gefallen hätte.

Wie das Leben, so die Mode

 

 

Die Pariser Schauen sind das Finale der internationalen Modenschauen. Fazit!? Wer die Welt vorurteilsfrei betrachtet, kann nur feststellen, dass nichts moderner ist, als verschiedensten Lebensentwürfen ihr Recht zu lassen. Das spiegelt die Mode nicht nur in Paris. Vielfalt ist das zentrale modische Thema. Die eine gefällt sich im seidenen Fähnchen, die andere in Lederjacke und Hosen. Schulterpolster oder schulterfrei, Sneaker aus Kunstleder zum Spitzenkleid bei Stella McCartney, Wilder Westen bei Isabelle Marant. Warum nicht? So sieht Fashion Diversity aus. Oft genug geht auch alles in einem inklusiven Outfit. Bei Balenciaga, designed vom Shooting Star Demna Gvasalia, sieht nur eine Jacke aus wie das Übereinander mehrerer. Die karierte Holzfällerjacke über der Jeansjacke unter einer Snowboardjacke sind nämlich beim genaueren Hinsehen nur eine einzige Jacke. So ist das Leben und die Mode. Manches ist nicht, wie es scheint. Vieles entdeckt man erst beim zweiten Hinsehen. Anderes ist einfach nur schön. Auch das sei erlaubt.