Trend Report Mailand Winter 2017 – Women have the power

Ein Hauch von Revolution bestimmte die Mailänder Schauen für den nächsten Winter. Bei Missoni gerät das Finale sogar zur Demonstration auf dem Laufsteg. Alle Models trugen die pinkfarbenen Mützen des Women’s March, mit dem Frauen ihren Protest gegen die diskriminierenden  Äußerungen Donald Trumps zum Ausdruck gebracht haben. Natürlich im edelsten Missoni-Mustermix. Angela Missoni hält nach der Schau eine kurze Rede und bittet alle Besucher, sich auf dem Laufsteg mit den Models zu versammeln „The people have the power“ klingt aus dem Lautsprecher. Noch nie war eine Modesaison so von der aktuellen Politik bestimmt. Donatella Versace schreibt auf Schals, Mützen oder Shirts  „Unity“, „Loyalty“, Equality. Statement Mode: ohne Frage ein Trend. In ihrer Schau zeigt sie Sakkos mit breiten Schultern, der Powerdress der 80er lässt grüßen, Sport-Styles, aber auch zarte schimmernde Kleider, die femininer kaum sein könnten.Alles hat sein Recht. Miuccia Prada, promovierte Politikwissenschaftlerin und Kommunistin, bevor sie mit 28 Jahren das familiäre Unternehmen übernahm, sieht ihre Kollektion als eine Reflexion der Jahre, als um Emanzipation und gegen den Muff unter den Talaren gekämpft wurde. Und auch jetzt ist es wieder Zeit, sich für Rechte einzusetzen, die viele für selbstverständlich halten. Ein Studenten-Look de luxe bot ihre Schau. Die Zuschauer saßen auf Betten und in einem WG ähnlichen Set. Bei Miuccia Prada finden sich in einem Outfit Spitze und Tweed, Strick und Federn, Pailletten, Kord und Pelz. Nicht dass derart aufwendige Kombinationen Frauen von nun an täglich morgens vor dem Spiegel in die Bredouille bringen sollen, wie sie sich noch ein bisschen verrückter anziehen können.Es geht um die Botschaft, dass Individualität ihr Recht hat. Dass das Nebeneinander, die Wahl zwischen verschiedenen Optionen zeitgemäß und zukunftsfähig ist. Es geht um weiblichen Sex- Appeal, der nichts mit Misswahlen und klischeehaften Männerphantasien zu tun hat.  Es geht um modische Demokratie, nicht um Trenddiktatur.

 

 

„Common sense is not that common“

Leder und Federn, warme, samtene Oberflächen und kühle, metallische Töne, auch bei Schuhen und Taschen, etwa bei Fratelli Rosseti, Bally oder Furla sind Ausdruck von Vielfältigkeit, die leben und leben lässt. Den Trend zur definierten Schulter, mal wie in den 40ern eher rund bei Bottega Veneta, mal kantig, wie in den 80ern bei Max Mara oder Versace, mag man als Wappnung sehen. „Common sense is not that common“, ein Zitat des Philosophen und Aufklärers Voltaire lässt Alessandro Michele auf seine Gucci T-Shirts schreiben. „Der gesunde Menschenverstand ist nicht so verbreitet“ – ein Aufruf gegen das Vorurteil. 120 Looks präsentierte Michele, und jeder steht für sich. Der unverkennbare Gucci-Style entsteht durch ein großes, modisches Durcheinander, das Punk mit Barock mixt, Chinoiserien mit Queen-Victoria-Roben, Glitzerleggings auf rüschige Bleistiftkleider folgen lässt. „The Alchemist’s Garden” heißt die Schau. Es grenzt tatsächlich an Zauberei, wie es Alessandro Michele gelingt, jeden denkbaren Stil gewissermaßen zu umarmen und zusammenzuführen. Die Mailänder Modemacher beweisen, dass Neues nur entsteht, indem sie offen sind für das Fremde, dass Schönheit nicht das Ergebnis von Einfalt, sondern von Vielfalt ist. „Diversity“ und „inclusion“ sind Vokabeln, die in kaum einer Pressemeldung fehlen. Auch dem neuen  Designer bei Marni, Francesco Risso, geht es in seiner experimentellen Kollektion um Individualität, um die Collage von Materialien und Stilen. Teddyfell und Spitze, Kunststoff und Seide, schmale Kleider und voluminöse Oberteile feiern die Vielschichtigkeit unseres modernen Lebens.

40 Millenials auf den Laufsteg

Natürlich will nicht jede Kollektion explizit ein politisches Statement geben, aber Zusammenhalt und Frauenpower in all ihren Facetten sind die Themen der Saison. Auch das kräftige Rot der ersten Outfits bei Max Mara setzt ein Signal für Selbstbewusstsein und Stärke. Die Kollektion an sich ist eine Besinnung auf den Ursprung der Marke, nämlich die perfekt geschnittenen Kamelhaarmäntel, für die das Label berühmt ist. Delikat die Abstufung der Brauntöne von sand bis nougat, retro die leicht gepolsterten Schultern. Die Jil Sander Schau präsentierte sogar überbreite Schultern und delikate Farben für starke Frauen. Sand und Gelb, Orange und Ocker, Pink oder Taubenblau geben den klaren Schnitten genau den entscheidenden Dreh ins Spezielle, der gerade so gefragt ist.  Für Weltoffenheit und Toleranz ist Selbstbewusstsein notwendig. Und die Italiener sind stolz auf ihre Tradition und ihre handwerkliche Exzellenz. Alberta Ferrettis Kollektion etwa ist eine Hommage an die Schönheit Venedigs, Fausto Puglisi beginnt seine Schau mit einem kurzen Film, gedreht im archäologischen Museum Neapel. Das Wissen um die eigene Tradition und die Selbstvergewisserung durch die Auseinandersetzung mit ihr bilden die Basis, um modische Grenzen zu überschreiten. Bei Dolce & Gabbana  wird die Modenschau zur Party, auch im grenzenlosen World Wide Web. Sie ist darauf angelegt, gepostet zu werden. Das Designer-Duo schickt 40 Millenials auf den Laufsteg, Töchter und ein paar Söhne prominenter Eltern, die nun selbst im Begriff sind, eine Karriere zu starten. Diese um die 2000er Jahre geborenen sind die erste Generation, die ein Leben ohne Internet nicht kennt. Ihre digitale Welt ist selbstverständlich grenzenlos. Zum Beispiel Corinne Foxx, Destry und Sasha Spielberg, Kenya Kinski-Jones, Anaïs Gallagher oder die Prinzessin von Griechenland mischen sich unter asiatische und südamerikanische VIPs und bilden so auf dem Laufsteg ein junge, internationale Familie, die in den fast karnevalesk prächtigen Dolce und Gabbana-Kleidern gemeinsam feiert. So bunt und fröhlich könnte die Zukunft aussehen.