Alter kommt in Mode

Die Mode entdeckt Ältere und Alte als Zielgruppe. Und das Klischee von den Rentnern in Beige und Grau ist widerlegt. Wer sich wie kleidet, ist keine Frage des Alters, sondern der Persönlichkeit,

Margot Philippi, 63, führt seit fast 30 Jahren Geschäfte für modische Damenbekleidung. Seit 13 Jahren ist sie Inhaberin eines Stores im gutbürgerlichen Stadtteil Lindenthal in Köln. In der Nähe sind eine Klinik und ein Seniorenheim. Töchter, Mütter und auch Großmütter schauen bei ihr vorbei – manchmal alle Generationen gemeinsam. Margot Philippis Anspruch ist es, dass jedes Alter und jeder Geldbeutel in ihrem Geschäft etwas findet. “Die Bedürfnisse sind in allen Altersklassen ganz individuell“, so ihre Erfahrung. „Am Alter kann ich nicht mehr festmachen, was eine Kundin kaufen möchte.“ Die einen aus dem Seniorenheim sind experimentierfreudig, lassen sich gerne beraten, andere wieder trauen sich nicht, fühlen sich „zu alt“ für leuchtende Farben und ausgefallenere Schnitte. „Aber es gibt auch junge Konservative, graue Mäuse in mittleren Jahren oder diejenigen, für die Kleidung vor allen Dingen praktisch sein muss. Es hängt von der Persönlichkeit ab, nicht vom Alter“, sagt Margot Philippi. Am Beginn ihres Berufslebens machte sie schnell Karriere. Mit 21 Jahren, Anfang der 80er-Jahre, war sie schon Chefeinkäuferin eines großen Textilkonzerns und verfügte über ein Millionenbudget. Für die sogenannte „Stammabteilung“ kaufte sie damals für die Älteren ein. „Die typische Kundin war eine in Beige oder Pastelltönen, die Blusen trägt und knielange Faltenröcke, vielleicht auch mal eine bequeme Jerseyhose mit Tunnelzug.“ Die Idee, dass es zwischen Young Fashion und der Stammabteilung Schnittmengen geben könnte, hatten wir damals nicht. Das war streng getrennt“, erinnert sich Margot Philippi. Das hat sich grundlegend geändert. So erlebt es auch die deutsche Marketingdirektorin einer international agierenden Kette. „Die Generation 60+ kommt zu uns, sie hat Geld, macht Umsatz und hat Lust auf Mode ganz generell, nicht an Mode für ihr Alter.“ Direkt beworben wird sie allerdings nicht. Die Ansprache ist schwierig. Wer möchte schon als Seniorin oder Senior angesprochen werden“, sagt die Marketingchefin, die anonym bleiben möchte. „Bei uns gilt das Motto ’60 ist das neue 40′ und ’80 das neue 60′. Es gibt keine Shops speziell für Ältere. Das wäre aus der Zeit gefallen.“

 

Margot Philippi in ihrem Geschäft in M/Philippi in Köln Lindenthal

 

Die Frage, ob und wenn ja, wie Mode ein Thema im Alter sein sollte, bleibt für manche trotzdem ein schwieriges Thema. Natürlich hat sich der Körper mit den Jahren verändert. Was einen mit 30 und vielleicht auch noch mit 40 gut kleidete, passt jetzt einfach nicht mehr. Man möchte sich angemessen kleiden. Aber was bedeutet das eigentlich? Die Modeindustrie beeinflusst durch die Bilder, die sie produziert, unser Schönheitsideal. Je öfter wir etwas sehen, desto schöner finden wir es. Das DMI (Deutsches Modeinstitut), ein Unternehmen, das aktuelle Entwicklungen im Modemarkt recherchiert und seine Mitglieder über sein Netzwerk informiert, hat sich gerade mit dem Thema Mode und Alter beschäftigt. Carl Tillessen, Geschäftsführer und Chefanalyst von DMI, stellt fest, bislang gab es viel zu wenig Vorbilder für ältere Menschen. Wenn immer nur extrem dünne junge Menschen gezeigt werden, verfestigt das ein unrealistisches Ideal. Aber die Dinge beginnen, sich zu verändern. Es ging los mit einigen kurvigen Frauen, die das Bild auf den Laufstegen abwechslungsreicher machten. „Ermutigt durch die positive Resonanz darauf, wagt sich die Mode nun an ein Casting, das nicht nur beim Gewicht eine größere Vielfalt zeigt, sondern auch beim Alter. Prada, Balmain, Armani, Saint Laurent, Dolce & Gabbana – In der letzten Schauenrunde zeigten mehr als 70% der Top-20-Marken ältere Models“, hat Tillessen beobachtet. Damit entstehen Bilder, in denen sich ältere Menschen wiedererkennen können. Im besten Fall bekommen sie Mut und Lust auf Mode, was auch bedeutet, dass sie sich selbst als attraktiv empfinden, es sich wert sind, sich schön zu machen. Carl Tillessen hält diese Entwicklung für bedeutend: „In Deutschland ist die absolute Mehrheit aller Menschen übergewichtig und/oder fortgeschrittenen Alters. Endlich können Modeunternehmen sich dazu bekennen, diese absolut unumgänglichen Zielgruppen zu bedienen. Sie können all diesen Menschen ein Angebot machen, ohne sofort als ältliche Übergrößen-Marke abgestempelt zu werden. Durch Bilder von älteren und übergewichtigen Menschen wird eine Marke nicht mehr uncool und unsexy. Ganz im Gegenteil. Das ist neu.“  Mit dazu beitragen Role-Models wie zum Beispiel die 63-jährige britische Schauspielerin Kristin Scott Thomas und die 68-jährige spanische Schauspielerin Àngela Molina, die bei Miu Miu den jungen Models die Show stahlen. Auch Supermodel Christy Turlington ist inzwischen 55, Isabella Rossellini 71: Beide liefen für Pucci. Ihre Bilder gehen um die Welt und verändern das Bild vom Alter, machen Älteren Mut, sich modisch auszuprobieren. Das Motto der Modemacher und -macherinnen lautet „Wie es euch gefällt“. Was „angemessen“ ist, kann für jede und jeden etwas anderes bedeuten.

 

 

Bislang war für die Mode die Generation Z – also die um das Jahr 2000 herum Geborenen – das Maß aller Dinge. Werbekampagnen drehten sich um diese Zielgruppe. Ihr Geschmack und ihre Bedürfnisse wurden analysiert. „Zweifellos sind sie die Zukunft, aber die Älteren, insbesondere die Boomer, sind die Gegenwart“, sagt Carl Tillessen vom DMI. „Von ihnen gibt es viele, und sie haben eine große Kaufkraft und bieten damit das größte Umsatzpotential.“ 

Dass sie mehr in den Blickpunkt geraten, erkennt Tillessen auch an der Musik, die während der letzten Schauen lief. „Um zu beweisen, dass sie auf allen Gebieten ganz weit vorne sind, waren die Designer:innen in den vergangenen Jahren stets bemüht, Musik zu spielen, die die Jugend gerade hört.“ Bei ihren aktuellen Schauen hingegen ließen die Kreativdirektoren stattdessen Musik aus der Jugend ihrer Kundinnen spielen. „Kate Bush“ oder „Tracy Chapman“ waren da zu hören. „Sexy Boy“ von „Air“ aus dem Jahr 1998 eröffnete die Chanel Schau.

Gerade macht die Mode es mit ihrem Mix aus Eleganz und bequemer Streetwear, den Älteren übrigens besonders leicht, an ihr Gefallen zu finden. Anschmiegsame Materialien, bequeme Schnitte und warme Farben, Zitate aus den 60er- und 70er-Jahren wecken Erinnerungen, sind vertraut und in ihren neuen Interpretationen gleichzeitig überraschend. Manches, was gerade noch als altmodisch galt, ist jetzt cool. Weil es viele Möglichkeiten gibt, ein Mix und Match der Stile dem Zeitgefühl entspricht, bietet der Modemarkt genügend auch erschwingliche Mode-Möglichkeiten für Ältere und Jüngere und für beide zusammen. Dazu gehört, dass Second-Hand-Kleidung und sogenannte Archivware aus vergangenen Saisons begehrt sind. Die Mode ändert sich nicht so schnell wie oft behauptet wird. Was gestern gut aussah, tut es auch noch morgen. Manchmal ist der eigene Kleiderschrank der beste Fundus. Und, wer weiß, vielleicht lässt sich sogar mit den Enkelkindern etwas tauschen. Spaß an Mode in jedem Alter hat, wer das Anziehen als Spiel betrachtet und sich frei macht von klischeehaften Vorstellungen. Was auf den Laufstegen gezeigt wird, ist eine Reaktion auf den sogenannten Zeitgeist. Dass hier nun auch die Älteren ihr Recht bekommen, hat damit zu tun, dass sie ein Wirtschaftsfaktor sind, aber auch, weil sich ihr Selbstverständnis ändert. Sie entdecken ihre Altersschönheit.