Die Mode des Winters fordert dazu auf, Glamour und Alltagslook zu kombinieren und sich genauso selbstverständlich wie selbstbewusst in Szene zu setzen.
Moden verändern sich nicht so schnell, wie oft behauptet wird. Mal werden andere Farben oder Rocklängen propagiert, mal sind die Kragen größer oder kleiner. Das war es dann aber auch schon. Wirkliche Veränderungen entstehen durch Materialentwicklungen und neue Silhouetten über längere Zeiträume. Das haben wir in den letzten Jahren erlebt. Alles wurde größer und größer. Es ist interessant an sich selbst zu beobachten, wie einen die Mode – ob man möchte oder nicht – beeinflusst. Skinny Jeans waren doch vor kurzem noch der Inbegriff von Coolness? Hosen mit Schlag? Igitt! Jetzt können die Hosen gar nicht mehr weit genug um die Beine flattern. So sieht Coolness gerade aus. Stichwort: Trend lässige Hosen. Aber auch ältere Pullover, Shirts und Jacken im Schrank kommen einem plötzlich alle zu klein vor. Das liegt nicht an der Waage, sondern an der Mode.
Länger schon werden die Laufstege maßgeblich von Streetwear, von Sportswear und auch Funktionskleidung, die ursprünglich nur für Outdooraktivitäten gedacht war, beeinflusst. Das hat die Silhouetten verändert, neue, oft elastischere Materialien in die High Fashion eingeführt und den Tragekomfort erhöht. Es gab ja tatsächlich eine Zeit, in denen Jogginghosen bestenfalls als Freizeithosen durchgingen. Jetzt sind Anzughosen mit Tunnelbund fast selbstverständlich.
Normcore nennt sich ein Trend, der der um die Jahrtausendwende geborenen Generation Z gefällt. Normcore bezeichnet unauffällige, eher biedere Unisex-Mode. Nur wer die Stylecodes kennt, sieht dass diese Looks nicht zufällig sind. Die Generation Z findet aber nicht allein Gefallen an Mode mit einem Hang zur Unscheinbarkeit, sondern auch an Kombinationen, die ihre Eltern für Geschmacksverirrung halten. Nicht zuletzt, weil sie Nylonjacken, Neonfarben, Stonewashed- und Baggy-Jeans oder Vokuhila-Frisuren an ihre eigenen modischen Fehltritte in den 80er- und 90er-Jahren erinnern. Heute geht es dabei um eine andere Idee von dem, was schön ist. Das neue männliche Sexsymbol heißt „Hot Rodent Man“ oder „Sexy Rat Boyfriend“. Es handelt sich um schmale, blasse Männer mit markanten Zähnen, die an Nagetiere erinnern. Coole Labels engagieren deshalb Jungs als Models, die früher freundlich mitleidig als Charakterkopf oder auch als Spargeltarzan bezeichnet worden wären. In Staffel 3 der Erfolgsserie Bridgerton hält der „begehrteste Mann der Saison“, Colin Bridgerton, um die Hand der von allen als Mauerblümchen bemitleideten fülligen Penelope an. Ein curvy Model gehört inzwischen zum guten Ton auf dem Laufsteg.
Was bedeutet das alles für die Mode im kommenden Winter? Der oversized Trend ist inzwischen auch bei denen angekommen, für die Mode eher eine Nebensache ist. Er hat seinen Zenit erreicht. Noch größer und weiter geht nicht. Die Silhouetten bleiben zwar oversized aber moderater. Wenn Jacken und Mäntel gerade noch eher kantig geschnitten waren, tendieren sie jetzt zum Runden. Der Trend Gorpcore, auch so eine Generation Z Idee, wird laufstegtauglich. Gorp“ ist die englische Kurzform für „Good old Raisins and Peanuts“, also für das, was bei uns Studentenfutter genannt wird und unterwegs in der Natur die Energiereserven auffüllt. Typisch Gorpcore sind Funktionsjacke, Fleecepulli und Rucksack. Outdoorkleidung und High Fashion gehen nun eine interessante Verbindung ein. Interessanterweise zieht dabei das, was mal „Schick“ oder „Eleganz“ genannt wurde, nicht den Kürzeren. Die Sportivität der Streetwear wird zurückgedreht und bekommt Schliff. Pufferjacken, Fleecestoffe, aufgesetzte große Taschen aus der Outdoorabteilung geben gut geschnittenen Kleidern, Anzügen oder Hosen einen lässigen Touch, sind aber unverkennbar eher in der City als im auf dem Wanderweg zu Hause. Warum auch immer. Streifen sind nun wieder angesagter als Karos. Der Spagat der aktuellen Mode besteht darin, im Alltagslook das Besondere zu integrieren, Individualität zu inszenieren und dabei nicht Gefahr zu laufen, overdressed zu wirken. Etwas Normcore, ein Tick Gorpcore und nicht zuletzt ein Hauch von Couture: Dieser Mix macht Mode.
Der Outerwear-Aspekte zeigt sich in den aktuellen Kollektionen durch Maxi-Mäntel, Kapuzen, Capes und wattierte Jacken und Westen in unterschiedlichen Formen. Die vielen groben Strickteile gehören in weiterem Sinn auch zu diesem Trend. Das gute alte Zopfmuster ist besonders gefragt. Alls Accessoires zum Look passen Stiefel – oft Overknees -, derbe Schuhe mit dicken Sohlen, Kopfbedeckungen aller Art und lange Schals. Taschen, groß oder klein, werden bevorzugt unter dem Arm getragen.
Dem Thema Mantel haben die Designer viel Aufmerksamkeit gewidmet, sie passen je nach Styling mit Pullover und Jeans oder Rock und Heels zu verschiedensten Anlässen. Besonders angesagt ist Fake Fur, also Kunstpelz – auch für ihn. Trendsetterinnen tragen Leopardenmuster, beide Geschlechter auch Flauschiges in schrillen Farben.
Eleganz und Business-Ästhetik ziehen in die Mode durch weit geschnittene Stoffhosen, knielange Röcke und große Blazer ein. Glänzendes Leder lässt manche Looks besonders edel wirken, andere rau. Interessant wird ein Outfit dann, wenn Streetstyle auf Business trifft. Die Farbigkeit ist eher gedeckt und monochrom: Grau, Schwarz, Braun und leuchtendes Rot. Hier spielt das Thema Silent Luxury – unauffälliger Luxus – eine Rolle, mit dem sich die finanziell mehr als Bessergestellten modisch und gesellschaftlich abgrenzen. Eine aktuelle Studie der Boston Consulting Group und des italienischen Luxusgüterverbands Altagamma zeigt, dass sogenannte VICs, Very Important Clients, zwar nur ein Prozent der Luxuskunden ausmachen, ihr Gewicht gemessen am Umsatz aber rasant zunimmt. Jeder einzelne dieser Kunden gibt zwischen 200- und 250-mal mehr aus als durchschnittliche Luxuskunden, das sind solche, die immerhin zwischen 50 000 und 300 000 Euro im Jahr ausgeben, nicht nur für Mode, auch für Reisen, Sternerestaurants, Wellness und Finanzdienstleistungen. Wirklich interessant sind diejenigen, deren Käufe sich auf über eine Million Euro pro Jahr addieren, es sind „Consumers Beyond Money“ – Kunden mit unbegrenztem Budget. Bei einigen Marken sorgen sie für fast 30 Prozent des Umsatzes. Das erklärt den starken Anstieg der Preise bei vielen Labels. Wer nur ab und zu ein Teil kauft, ist schlicht uninteressant. Eine ähnliche Tendenz ist auf dem Möbelmarkt zu beobachten. Dort ist der Trend zu Sesseln, Sofalandschaften, Ess- und Couchtischen im XXL-Format auch ungebrochen. Es sind große, repräsentative Möbel für Menschen in Häusern „beyond money“.
Auch wer keinen VIC-Status in Anspruch nehmen kann, muss nicht in Sack und Asche gehen oder auf Kisten sitzen. Geschmack ist nicht zwingend gleichbedeutend mit Geld. Weil es viele Möglichkeiten gibt, ein Mix und Match der Stile dem Zeitgefühl entspricht, bietet der Modemarkt genügend erschwingliche Alternativen für Normalverdienerinnen und -verdiener. Dazu gehört auch, dass Second-Hand-Kleidung und sogenannte Archivware aus vergangenen Saisons begehrt ist. Die Mode ändert sich nicht so schnell. Was gestern gut aussah, tut es auch noch morgen. Mode sollte in erster Linie Spaß und keine Schulden machen.